Nachfolgend bieten wir einige Antworten auf häufig gestellte Fragen zur weltweiten Finanzkrise. In französischer Sprache findet sich auf den Internetseiten der Zeitung Le monde eine Zeichnung zur Erläuterung der Entwicklung.
Was war Auslöser der Finanzmarktkrise?
Auslöser war das Platzen einer Spekula- tionsblase auf dem US-Immobilienmarkt. Die amerikanischen Banken hatten in Jahren niedriger Zinsen immer häufiger schlecht besicherte so genannte Subprime-Kredite für den Hauskauf oder -bau vergeben. Ende 2006 stiegen die Zinsen in den USA. Wegen sinkender Nachfrage rutschten die Immobilienpreise bis heute um etwa 25 Prozent. In der Folge konnten immer mehr Subprime-Schuldner ihre Kredite nicht mehr bedienen.
Erklärt das schon die weltweiten Auswirkungen?
Nein. Verschärft wurde die Situation durch waghalsige Konstruktionen: Um sich selbst zu refinanzieren, bündelten die Immobilienbanken die Kredite zu neuartigen Wertpapieren, die weltweit an Investoren verkauft werden, beispielsweise in China oder an europäische Banken.
Weshalb sind diese Papiere problematisch?
Die gebündelten Kredite werden durch Verbriefung zu Papieren, die an den Börsen handelbar wurden und mit denen spekuliert werden konnte. Das Problem bei den so genannten Asset Backed Securities und anderen "strukturierten" Finanzmarktprodukten ist, dass in den Paketen gute ebenso wie schlechte Hypothekenrisiken enthalten sind. Der Käufer kennt die wirklichen Bestandteile jedoch nicht. Er kann nicht selbst den realen Wert des Paktes ermitteln, sondern muss sich auf die Einstufung einer Ratingagentur verlassen.
War der Zusammenbruch dieses Systems absehbar?
Experten haben schon vor einiger Zeit vor den Gefahren immer abenteuerlicherer Finanzkonstruktionen gewarnt. Das System beruht letztlich auf Glauben. Solange genügend Marktteilnehmer an den Wert der Strukturierten Produkte glauben, kann man sie handeln. Das System bricht zusammen, wenn das Vertrauen wegfällt. "Etwas musste passieren", sagte der frühere Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, Kenneth Rogoff. "Man kann nicht einfach mit dünner Luft Geld verdienen".
Wann brach die Krise aus?
Es begann schon Mitte 2007: Immer mehr Subprime-Kredite platzten, das Vertrauen in den Wert der mit US-Hypothekenverträgen angeblich besicherten Papiere fiel in den Keller - und damit ihr Preis an den Märkten. In der Folge mussten Banken die Werte dieser Papiere in ihren Büchern teils drastisch nach unten berichtigen, mit der Folge tiefroter Zahlen in den Bilanzen. Es dauerte jedoch noch fast ein Jahr, bis die Auswirkungen dramatische Züge annahmen. Zunächst konnte die Immobilienbank Bear Stearns im März 2008 auf Druck der US-Regierung nur durch eine Übernahme durch JPMorgan Chase vor einem drohenden Zusammenbruch gerettet werden. Erst als mit Lehman Brothers im September 2008 ein 158 Jahre altes Geldhaus Konkurs anmeldete, während die drittgrößte Investmentbank des Landes - Merrill Lynch - von der Bank of America gerettet werden mußte, wurde die Bedrohung allgemein offenbar. Zuvor schon waren die Hypothekenriesen Fannie Mae und Freddie Mac unter staatliche Aufsicht gestellt worden, um Schlimmeres zu verhindern. Auch in Luxemburg ansässige Banken sind seit dem Spätsommer 2008 vom Ausbruch der globalen Finanzmarktkrise betroffen: Fortis und Dexia mussten durch ein staatliches Engagement bzw. die Übernahme durch die BNP Paribas gerettet werden.
Sind noch mehr Geldinstitute betroffen?
In den USA haben seit Ausbruch der Krise bereits ein Dutzend weiterer kleinerer Banken die Schalter schließen müssen. Christopher Whalen von Institutional Risk Analytics sagte im Herbst 2008 voraus, dass bis Juli 2009 etwa 110 der 8.400 US-Banken das Geschäft einstellen könnten.
Hat das auch Folgen für die übrige Wirtschaft?
Wenn immer mehr Banken in Bedrängnis kommen, wirkt sich das auf andere Wirtschaftsbereiche ebenso aus: Den Banken wird das Geld knapp mit der Folge, dass Kredite teurer und vor allem auch an strengere Vergabebedingungen geknüpft werden. Das wechselseitige Vertrauen an den Geldmärkten ist schwer erschüttert worden. Aus der Kreditzurückhaltung wurde eine Kreditklemme, von der wiederum zunehmend auch die so genannte "Realwirtschaft" betroffen ist.
Wie reagierten die Zentralbanken?
Nach dem schwarzen Montag am 15. September 2008 an den Börsen weltweit versuchen die führenden Notenbanken die Panik an den Finanzmärkten einzudämmen. Einen Tag nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers pumpten sie am 16. September über 100 Milliarden Euro zusätzliches Geld in das Finanzsystem.
Um die Talfahrt an den Börsen zu stoppen, senken sechs führende Zentralbanken am 8. Oktober die Leitzinsen. So sollten Kredite billiger werden, die Wirtschaft profitieren. Die Aktion zeigte kurzfristig wenig Wirkung. Erst die späteren staatlichen Rettungsmassnahmen führten zu einer relativen Beruhigung.
Welche umfassenden staatlichen Finanzspritzen und Rettungspakete gibt es?
- In Folge starker weltweiter Kursrutsche an den Börsen am 15. und 16. September 2008 und einer Herabstufung des weltgrössten Versicherungskonzerns American Internatio- nal Group Inc (AIG) durch Ratingagenturen springt die US-Regierung ein. Sie rettet die AIG am 17. September mit einer 85 Milliarden US-Dollar schweren Finanzspritze vor dem bevorstehenden Zusammenbruch.
- Am 29. September springen die deutsche Bundesregierung und die Bankenbranche dem Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate mit insgesamt 35 Milliarden Euro bei. Island trifft die Finanzkrise besonders hart: Zwei isländische Banken werden verstaatlicht. Hilfe soll von der russischen Regierung kommen, die einen Kredit über vier Milliarden Euro bereitstellen könnte.
- Am 28. September wurde publik, dass die Regierungen von Belgien, Luxemburg und den Niederlanden der Fortis Bank mit 11,2 Milliarden Euro stützen (teilweise Nationalisie- rung). Am 3. Oktober übernahm die niederländische Regierung für weitere 16,8 Mrd. Euro die restlichen 100 Prozent der niederländischen Bank- und Versicherungsaktivi- täten von Fortis einschließlich des Anteils an ABN Amro, nachdem zahlreiche Groß- kunden ihr Geld trotz der ersten Rettungsmaßnahme abgezogen hatten. Die franzö- sische BNP Paribas übernahm am 6. Oktober 75 Prozent des belgisch-luxemburgischen Teils der Fortis-Gruppe für 14,5 Mrd. Euro.
- Der belgisch-französische Immobilienfinanzierer Dexia erhält am 30. September ein länderübergreifendes Hilfspaket. Belgien, Frankreich und Luxemburg greifen dem angeschlagenen Bankhaus mit einer Kapitalerhöhung in Höhe von 6,4 Milliarden Euro unter die Arme.
- Am 13. Oktober beschloss die deutsche Regierung ein beispielloses Rettungspaket: Mit 480 Milliarden Euro will sie den Banken helfen und die Finanzmärkte stabilisieren.
- Am 14. Oktober verkündet die US-Regierung, dass sie sich mit rund 250 Milliarden Dollar (etwa 185 Milliarden Euro) bei Banken einkaufen werde. Im November wurde dieser Betrag auf bis zu 500 Milliarden Dollar erhöht. Das Geld stammte aus dem schon in der Vrorbereitung befindlichen Rettungspaket, das insgesamt 700 Milliarden Dollar umfasst. US-Finanzminister Paulson hatte in Übereinstimmung mit dem Chef der US-Notenbank, Bernanke, diesen politisch heftig umstrittenen Rettungsfonds zur Bekämpfung der Krise vorgeschlagen (Paulson-Plan). Doch war dieser am 29. Septem- ber noch im Parlament abgelehnt worden, wodurch der bisher größte absolute Kurs- verlust an der Wallstreet ausgelöst wurde. Am 3. Oktober wurde die ursprünglich dreiseitige Vorlage dann als mehr als 400 Seiten starker Gesetzesentwurf („Emergency Economic Stabilization Act of 2008“) neuerlich vorgelegt und angenommen. Am 25. November verkündete die Fed ein weiteres Hilfsprogramm von 835 Milliarden Dollar. Für insgesamt 600 Milliarden Dollar sollen problematische Immobilienkredite und verbriefte Hypotheken von Banken und Investoren aufgekauft werden. Mit weiteren 200 Milliarden Dollar soll verhindert werden, dass die Kreditvergabe an Haus- und Autokäufer, Studenten und Kleinunternehmer zum Erliegen kommt.
- Auch andere europäische Staaten verkündeten umfassende Finanzspritzen: Frankreich half Banken in Schwierigkeiten mit Hilfen von bis zu 360 Milliarden Euro, die Niederlande steigen mit 200 Milliarden ein, während Spanien und Österreich rund 100 Milliarden zusichern. Auf dieses "koordinierte gemeinsame Vorgehen für die Eurozone" hatten sich die Staats- und Regierungschefs der 15 Euro-Staaten am Wochenende zuvor in Paris geeinigt. Der Paulson-Plan wurde später an das europäische Vorgehen angepasst.
Welche Auswirkungen hat die Krise?
Die globale Finanzkrise führte nicht nur zum Zusammenbruch vieler Banken und zu einer Kapitalvernichtung enormen Ausmasses: Die Gesamtverluste der Finanzinstitute und Investoren wird auf 2.000 Milliarden Dollar geschätzt. Der Vertrauensverlust in das Bankensystem sowie der Banken untereinander führte zu einer stockenden Kreditver- gabe, die - spürbar ab November 2008 - auch die Realwirtschaft traf (u.a. die Automobilindustrie). Befürchtet wird ferner, dass durch die Krise andere bedeutende globale Probleme wie Armut und Klimawandel in den Hintergrund treten.
Welche Konsequenzen werden aus der Krise gezogen?
Auf einem EU-Gipfel am 15. Oktober in Brüssel haben die 27 einstimmig die eine Woche vorher bei einem EU-Gipfel in Paris beschlossenen Massnahmen gebilligt und damit eine erste gemeinsame Antwort auf die Finanzkrise gefunden. Im Rahmen eines Programms zur Bekämpfung der schwelenden Finanz- und Vertrauenskrise wurde entschieden, unter anderem sogenannte systemische Banken zu retten, die Finanzierung der Banken zu vereinfachen, eine Rekapitalisierung angeschlagener Banken zuzulassen, Bilanzrichtlinien zu verändern und die Kooperations- strukturen zwischen europäischen Banken auszuweiten. Einigkeit besteht nunmehr auch darüber, dass Regulierungen verschärft werden und die Banken zurück zum Basisgeschäft finden müssen.
Im Frühjahr 2009 bereitet der amerikanische Finanzminister Timothy Geithner ein Gesetzesvorhaben vor, mit dem in den als "systemisch wichtig" erachteten Finanzinstituitionen die Risiken reduziert werden sollen. Hierbei geht es auch um die Bereinigung der Bankbilanzen von faulen Krediten.
Was bedeutet das alles für Sparer?
Die EU-Kommission hat Mitte Oktober Veränder- ungsvorschläge für die Einlagenrichtlinie vorgelegt. Vorher hatten die Finanzminister der EU bereits zugesagt, die Mindestsumme von derzeit 20.000 Euro in einem ersten Schritt auf 50.000 und in einem weiteren Schritt auf 100.000 Euro anzuheben. Das Luxemburger Kabinett reagierte prompt auf den Direktiventwurf der EU und beschloss am 17. Oktober, die Spareinlagen bei Banken mit Sitz am hiesigen Finanzplatz künftig bis zu einer Höhe von 100.000 Euro pro Person abzusichern. Im Falle einer Bankenpleite wird den Sparern ihre Einlage bis zu dieser Höhe zurück erstattet. Zudem soll die Entschädigungsfrist im Fall der Fälle auf drei Tage (bislang 30 Tage) verkürzt werden. Das Gesetz ist jedoch noch nicht umgesetzt worden (Stand: 5. Februar 2009).
Wer ist vom Madoff’schen Milliardenbetrug betroffen?
Durch die Finanzkrise kam es Mitte Dezember 2008 zum Zusammenbruch der Invest- mentfirma Madoff Investment Securities LLC. Ihr Gründer, Bernard L. Madoff war maßgeblich am Aufbau der Technologiebörse Nasdaq beteiligt. Zeitweise war er deren Verwaltungsratsvorsitzender - daher sein exzellenter Ruf. Nach dem Zusammenbruch gestand er, Investoren mit einem Schneeballsystem um etwa 65 Milliarden Dollar betrogen zu haben. Analysten und Zeitungen sprechen vom wohl größten Betrugsfälle in der Geschichte der Wall Street. Viele Privatleute und Banken haben alles hier investierte Geld verloren. Zu Madoffs Investoren gehörten führende Industrielle und Kooperationen, die Madoff teilweise wie ein hochverzinsliches Bankkonto verwendeten, Stiftungen, Universitäten und vor allem viele bekannte Fonds.
Die wichtigsten Fonds, die zu Madoff-Opfern wurden, sind: AGF Tresodyn, Phenix Alternative Holding (alle Allianz Global Investors), Libertis (Fortis), Objectis (Fortis), Oval Alpha Palmares (OFI), Action Valor, Central Valor, Integral Valor, Mod Valor (alle HSBC) und Elite (Rothschild). Nach Angaben der Aufsichtsbehörde CSSF (Tageblatt vom 23.12.08 und le jeudi vom 23.01.09) sind ferner folgende Anbieter von Investmentfonds nach luxemburgischem Recht betroffen: Herald (Lux): Compartiment US Absolute Return Fund; Luxembourg Investment Fund: Compartiment U.S. Equity Plus; LuxAlpha Sicav von UBS: Compartiment American Selection; Norvest: Compartiment Arbitrage; Global Fund Selection Sicav: Compartiment BG Global Classic, Compartiment BG Global Dynamic, Compartiment BG Global Challenge, Compartiment BG Global Balance, Compartiment BG Global Discovery, Compartiment BG Stable Value; M.A.R.S. Fund: Compartiment One; Pareturn: Compartiment Best Selection. Der Wert der betroffenen luxemburgischen Papiere beläuft sich auf gut 1,9 Mrd. Euro.
Sind SRI-Fonds betroffen?
Nach Einschätzung von Jean-Philippe Desmartin, dem Zuständigen für sozial verantwortliches Investment (SRI) bei der Börsenfirma Oddo Securities, waren keine Madoff-Fonds oder Subprimes in SRI-Fonds investiert (Le monde, 02.02.09).
Wieviele US-Banken sind betroffen?
Die Bankpleiten in den USA steuern auf einen neuen Rekord zu. Am 26. März 2010 hat die Einlagensicherung FDIC vier weitere Regionalbanken geschlossen, denen das Geld ausgegangen war. Nach drei Monaten ist die Gesamtzahl der Bankpleiten damit auf 40 angestiegen. Im gesamten Jahr 2009 waren 140 vor allem kleine US-Institute Opfer der Finanzkrise geworden. Damit sind vor allem die kleinen und mittleren Banken in den USA die Verlierer der Krise, berichtet das WORT (29.03.10)
Quellen: Rheinische Post online, dpa, Tageblatt und eigene Recherchen
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Die Journalisten Pierre-Antoine Delhommais, Claire Gatinois und Anne Michel haben häufig gestellte Fragen grundsätzlicher Art für die französische Tageszeitung Le monde beant- wortet. Auszüge (in französischer Sprache) finden Sie hier.
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Literaturtipp Harald Noack und Karl-Peter Schackmann-Fallis:
Lehren aus der Finanzmarktkrise ziehen (Mai 2010)
Ausschnitt: Es war ein Fehlurteil, davon auszugehen, dass die Finanzmärkte imstande sind, sich selbst in Teilen zu regulieren. Der Prozess starker Deregulierung war hingegen eine der grundlegenden Ursachen für die Finanzmarktkrise. Es ist deutlich geworden, dass Eigenkapitalrenditen von über 20 Prozent zum einen nicht dauerhaft erreichbar sind und zum anderen nur durch das Eingehen hoher Risiken kurzfristig erzielt werden konnten. Der im Vorfeld der Krise einsetzende Prozess starker Disintermediation im traditionell einlagenbasierten Kreditgeschäft erwies sich als nicht tragfähig. Es bedarf nicht einer Zurückdrängung von Finanzintermediären zugunsten der Kreditverbriefung, sondern einer Rückbesinnung der Banken auf die klassischen Transformationsfunktionen. Das bedeutet für die Bankwirtschaft eine stärkere Fokussierung auf die Realwirtschaft und besonders den Ausbau der Hausbankfunktion sowie der direkten Kundenbeziehungen.
Der vollständige Text ist von der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht worden (zur Lektüre bitte auf das Bild klicken).