Die Preiskämpfe der Lebensmitteldiscounter kann man nicht verbieten und auch im Radio kann man sie nur erdulden (“Nur diesen Samstag: Das Kilo Tomaten für nur 79 Cent”). Beim Einkauf ist kaum jemand – ehrlich gesagt – gefeit gegen den Impuls, sich über Sonderangebote zu freuen. Welche Konsequenzen der durch den Wettbewerb ausgelöste Preisdruck hat, ist vielen nicht bewusst: Der Druck zur stetigen Effizienzsteigerung wird von den mächtigen Handelskonzernen an die Zwischenhändler und weiter zu den Produzenten geleitet, die dann vor der Alternative “Wachse oder weiche” stehen. Auch in Luxemburg ist die Zahl der Bauernhöfe in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich geschrumpft, während die jeweils bewirtschafteten Flächen immer grosser werden.
Es wird kalifornisches Saatgut eingekauft, das perfekt an die dortigen Anbaubedingungen angepasst ist, nicht aber an die hiesigen. Also muss unter Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden nachgeholfen werden. Es entstehen Agrarsteppen, die nur durch massiven Input aus der chemischen Industrie funktionieren. Zu den Konsequenzen dieser agroindustriellen Landwirtschaft auf Monokulturen gehört eine dramatische Reduzierung der hiesigen Biodiversität, die sich vor allem im Insekten- und Vogelsterben ausdrückt. Dazu gehören aber auch soziale und ökologische Folgen in anderen Teilen der Welt. Mensch und Natur werden ausgebeutet, diese “Kosten” der Produktion aber externalisiert, das heisst deren Beseitigung wird auf die Gemeinschaft abgewälzt und sind nicht Bestandteil der Herstellungskosten. Nur so können sie uns Konsumenten der westlichen Welt scheinbare Wohlstandsgewinne ermöglichen.
Seit gut einem Jahrzehnt haben Konsumenten mit biologisch angebauten Nahrungsmitteln und zum Teil auch fair entlohnten Produzenten jedoch eine echte Alternative, die auch zunehmend genutzt wird. Einkaufen ist zum politischen Handeln geworden. Der dahinter stehende Bewusstseinswandel begann mit der Rückfrage, inwieweit der eigene Lebensstil und das eigene Konsumverhalten den Ansprüchen von Nachhaltigkeit gerecht wird. Wie groß ist der eigene „ökologische und soziale Fußabdruck“? In wie weit hat also das eigene Verhalten Auswirkungen hat auf andere, die mit uns gleichzeitig leben oder in Zukunft auf der Erde leben?
Durch die Transition-Bewegung, die sich in Luxemburg am 9. Und 10. März bei den “Transition Days 2018” erstmals einer breiten Öffentlichkeit vorstellte (siehe Fotos rechts), entstanden neue Ideen zum Thema verantwortliches Gärtnern und Ernährung. Im Rahmen dieser mit „Stadt im Wandel“ übersetzbaren Bewegung gestalten seit 2006 Umwelt- und Nachhaltigkeitsinitiativen in vielen Städten und Gemeinden der Welt den erforderlichen Übergang in eine postfossile, relokalisierte Wirtschaft. Ausgehend von der Beobachtung, dass die Politik nicht entsprechend auf die Herausforderungen des Klimawandels und des
bevorstehenden globalen Fördermaximums von Öl (Peak Oil) und anderen Rohstoffen reagiert und daher die Kommunen von sich aus mit ersten vorbereitenden Maßnahmen auf eine Zukunft knapper werdender Roh- und Treibstoffe reagieren müssen, initiieren Transition Towns Gemeinschaftsprojekte. Hierzu gehören u. a. Maßnahmen zur Verbrauchsreduktion von fossilen Energieträgern sowie zur Stärkung der Regional- und Lokalwirtschaft.
Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die Gestaltungsprinzipien der Permakultur, die es insbesondere landwirtschaftlichen, aber auch gesellschaftlichen Systemen ermöglichen sollen, ähnlich effizient und resilient zu funktionieren wie natürliche Ökosysteme. Die erste solche Bewegung in Luxemburg entstand Ende 2011 in Esch/Alzette: Transition Minett.
Mit Projekten wie TERRA, einer Kooperative, die Permakulturkurse anbietet, aber auch Initiativen der solidarischen Landwirtschaft, bei denen Produzenten und Konsumenten in direkten Kontakt treten, sowie städtischer Gemeinschaftsgärten (siehe Eisegaart) hat die Bewegung hierzulande viel angestossen. Zum Beginn der Gartensaison ist diesbezüglich vor allem ein Samengut-Projekt interessant.
Seit 1900 sind rund 75 Prozent der pflanzlichen Sortenvielfalt verloren gegangen. Eine Initiative in Leudelingen erkannte die Notwendigkeit, eine Saatgutsammlung aufzubauen und den Anbau und Tausch von traditionellen, local angepassten Nutzpflanzenarten zu fördern. Es geht dabei vor allem um Gemüsesaatgut, da die einjährige Gemüsekultur kurzlebiger als der Obstbaumbereich ist, be idem Bäume bis zu 90 Jahre alt werden können. Deshalb tritt bei den Obst- und Gemüsepflanzen der Verlust von Sorten aus regionaler Herkunft auch viel schneller ein.
Dieser zunächst als informelles Netzwerk “Som fir Erhalen an d’Entwécklung vun der Diversitéit” (SEED) entstandene Zusammenschluss von Privatpersonen und Organisationen, die im Bereich Saatgut und Umweltschutz aktiv sind, besteht seit 2013 als Verein. Bei der Gründungsversammlung erklärte Frank Adams von der Ackerbauschule, worum es SEED geht: Als Aufgabe hat man sich nicht nur die Erhaltung der Sortenvielfalt, sondern auch die Sensibilisierung über die gesellschaftliche Bedeutung von Saatgut gemacht und die die Information rund um den praktischen Samenbau. Dabei richtet sich die Gruppe bislang hauptsächlich an PrivatgärtnerInnen in Luxemburg und der Großregion.
„Als SEED haben wir ein Interesse daran, möglichst vielen Leuten den Zugang zu Saatgut und samenfesten Sorten zu ermöglichen“, betont Georges Moes von der Fondation Hëllef fir d`Natur, die am Projekt beteiligt ist. Ziel ist dabei nicht, für jeden Garten DAS passende Saatgut anzubieten, sondern „Vermehrer zu vermehren“ – also Menschen, die ihr eigenes Saatgut auslesen und vermehren möchten und so nicht nur selten gewordene Sorten, sondern auch das Handwerk des Samenbaus am Leben erhalten. So bietet SEED heute Kurse zum Anbau, der Vermehrung und Züchtung von Saatgut an.
Gegründet wurde SEED auf dem Gelände des seit 2005 existierenden privaten Non-Profit Projektes "Kraizschouschteschgaart". Das dort von Freiwilligen rund um den Gärtner Steve Schwartz 2011 errichtete Saatgutlager wird heute ebenfalls von SEED genutzt. Der zungenbrecherische Name heißt frei übersetzt soviel wie: "Kreuz-Schuster-Garten" und bezieht sich auf den Bauernhof "A Kreidchustesch", bei dem sich der Projekt-Garten befindet.
Wenn der Garten wieder ruft, sollten Interessierte am anbau gefährdeter Arten daher nach Leudelingen fahren oder bei einer der Verteilerstationen von SEED vorbeischauen, die sich unter anderem im CITIM in Luxemburg Stadt (im Haus des etika-Büros), im MESA in Esch oder beim heutigen Sitz von SEED im Mediterranen Garten in Schwebsingen befinden.
Artikel vom 30. März 2018