Nico Wirth: Rinderzucht im Nebenerwerb

, von Ekkehart Schmidt














Dippach ist eine kleine Gemeinde im Kanton Capellen, 13 km westlich von Luxemburg-Stadt. Gemeinsam mit den Ortsteilen Bettingen, Schouweiler und Sprinkingen beläuft sich die Einwohnerzahl zwar auf gut 4100, aber das eigentliche Dorf hat nur 990 Einwohner, von denen die wenigsten hier geboren sind. Durch die Nähe zu Luxemburg-Stadt sind hier in den vergangenen Jahrzehnten viele Hundert Menschen zugezogen.

Entlang der Route du Luxembourg reihen sich heute Dutzende Villen und Residenzen. Durch die Suburbanisierung hat der Ort zwar seinen dörflichen Charakter verloren, aber es gibt durchaus noch mehrere Bauernhöfe. Der direkt an der Hauptstraße gelegene Hof der Familie Wirth ist als solcher jedoch nur auf den zweiten Blick zu erkennen: Da das Gelände hinter dem Hof in ein Tal abfällt, sieht man die Stallungen mit Limousin-Rindern nur, wenn man direkt vor dem Hauptgebäude steht.

Ortstermin mit Nico Wirth Mitte November 2016: Der in Grevenmacher unterrichtende Gymnasiallehrer ist hier aufgewachsen. Er studierte in Heidelberg Germanistik und Philosophie und zog dann nach Luxemburg-Stadt. Als wir uns um 14 Uhr treffen, hat er schon einen Morgen mit Deutsch-Unterricht hinter sich, ist von Grevenmacher nach Dippach gefahren, hat sich umgezogen, im Stall nach dem Rechten gesehen und dann vier große Eimer mit geschrotetem Hafer, Erbsen und Tritical (eine Kreuzung aus Roggen und Weizen) auf den Anhänger des Traktors gewuchtet. Es wird noch ein großer Heuballen aufgespießt, dann kann sich der etika-Angestellte neben ihn auf den Trecker setzen und an die "Ferien auf dem Bauernhof" 1976 denken, wo er das zuletzt durfte.

Es geht etwa einen Kilometer nordwärts, vorbei an einem Weizenfeld, das Nico Wirth kürzlich ausgesät hat, und entlang einer kleinen Allee junger Obstbäume, die er jüngst gepflanzt hat. 2009 übernahm er die Limousin-Rinder seiner Eltern und stellte auf Bio-Zucht um. Für ihn war das klar, als die Entscheidung einmal gefallen war, den elterlichen Hof fortzuführen: Wenn, dann nur als Bio-Hof. "Damit das Grundwasser nicht verschmutzt wird, die Bienen nicht vergiftet werden und genügend Blüten finden", begründet er.

Wenn seine Kollegen auf den Nachbarfeldern gelbe Stellen in den jungen Weizensprießen entdecken, seien sie schnell mit der Giftspritze dabei. Er versuche dagegen, das möglicherweise zugrundeliegende Problem ökologisch anzugehen.

2011 hat er dann auf einer Weide einen Stall errichtet.

Dort begrüßt uns ein Großteil der gut 60 Rinder (1 Stier, 27 Kühe, sowie 10 weibliche und 22 männliche Kälber). Warum manche noch am alten Hof stehen, hat der etika-Mitarbeiter zu fragen vergessen. Kaum bringt Nico Wirth die Eimer mit Schrot, stellen sich die Kühe brav in Reih und Glied auf und strecken die Köpfe durch das Gatter. Die meisten haben keine Hörner mehr. Nur die Leitkuh und einige andere tragen noch Hörner. Die Rinder werden - ohne Gentechnik - so gezüchtet, dass sie keine Hörner mehr haben. Das schützt vor Verletzungen.

Nico Wirth ist mit dieser Zucht zum Nebenerwerbslandwirt geworden. Das war damals eine nicht einfache Lebensentscheidung. Aber es ging ihm und seinen Brüdern - die bei Nico aushelfen, wenn es nötig ist - auch darum, die Lebensleistung der Eltern zu honorieren. Ohne deren Unterstützung wäre das kaum möglich gewesen. Und auch nicht ohne die Möglichkeit, gelegentlich die Nachbarbauern - von denen zwei ebenfalls Bio-Landwirte sind - um die Abnahme von Arbeiten zu bitten, de er aus zeitlichen Gründen nicht übernehmen kann. Zum Beispiel Felder pflügen, Ballen pressen oder den Mist wegfahren. Über einen eigenen Mähdrescher verfügt der Betrieb auch nicht. Er bezahlt diese Arbeiten mit einem Pauschalbetrag.

Den Rindern stehen etwa 29 Hektar Grasland zur Verfügung, auf 6 Hektar werden die Futterpflanzen angepflanzt, da die Tiere nach den Bio-Richtlinien weitestgehend Futter vom eigenen Hof fressen sollen.

Damals waren die Brüder etwas skeptisch, ob das funktioniert, weil in Bio-Anbauweise die Ernte geringer ausfällt, aber auch, weil der Markt für Bio-Fleisch damals noch nicht so entwickelt war. Als Mitglied von Bio-Maufel, einer Vereinigung von Bio-Landwirten, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die regionale Bio-Fleischproduktion zu fördern, geht die Vermarktung besser.

Auch zwei Nachbarbetriebe in Dippach und Springkingen beteiligen sich, sowie andere Bio-Betriebe im ganzen Land. Die Milch der Kühe wird nicht verkauft, sondern steht den Kälbern zur Verfügung. Nico Wirth beginnt jetzt mit der Fütterung. Dazu muss er die Kälber in einen geschützteren Pferch treiben. Nach dem geschroteten Kraftfutter erhalten die Kälber Kleegras, die Muttertiere Heu aus erstem und zweitem Schnitt des Jahres, das ja in der ersten Hälfte übermäßig regenreich war. Zeitweilig gab es Probleme durch einen großen Taubenschwarm, der sich über die Reste des Kraftfutters hermachte, aber auch die Trinkschalen verunreinigte. In Absprache mit der Sicona Ouest wurde eine Lösung gefunden: Vor einigen Monaten wurde neben dem Stall ein Brutkasten für Falken befestigt.

Obwohl dieser noch nicht belegt wurde, ist jetzt Ruhe.

Der Betrieb soll jetzt weiter ausgebaut werden. Neben dem Stall stecken Holzpflöcke zur Markierung im Boden: Dort soll eine Halle zur Lagerung von Viehfutter und landwirtschaftlichem Material errichtet werden, Dafür hat Nico Wirth im November 2016 von Spuerkeess und etika einen Investitionskredit in Höhe von 50.000 Euro erhalten (Laufzeit: zehn Jahre). Baubeginn ist diesen Winter.

Den Gast beschäftigen zwei Fragen: Wie der Mittfünfzigjährige diese berufliche Doppelbelastung organisiert bekommt und ob bzw. inwiefern sich das Handling einer Herde von dem einer Schulklasse unterscheidet. Ersteres geht nicht nur wegen der Brüder und Nachbarbauern ganz gut, sondern auch deswegen, weil viele zeitaufwändige Arbeiten - wie die Aussaat und Ernte des Futtergetreides - in die Ferienzeiten fallen. Er müsse zwar meist täglich zu den Rindern, aber in der Regel sei die Tagesarbeit nach ein bis zwei Stunden erledigt.

Während der Vegetationszeit, also vom Frühjahr bis zum Herbst eines Jahres, weiden die Rinder auf den Grünlandflächen. Im Winter sind sie in dem geräumigen Laufstall

untergebracht, der ihnen ausreichend Bewegungsfreiheit und freien Zugang zum Futter bietet. Die Abkalbungen erfolgen zum Teil im Stall oder eben ab Mitte April draußen auf der Weide. Nach der Geburt bleiben die Kälber bei den Muttertieren, sie werden bis zu 10 Monate gesäugt und können artgerecht im Herdenverband aufwachsen. Danach kommen sie allerdings zu einem Mastbetrieb und werden im Alter von knapp 2 Jahren geschlachtet.

Wir müssen jetzt zurück fahren, weil der von Nico Wirth angeforderte Lkw mit einer mobilen Mühle an der Hauptstraße wartet. Zeit, um zu fragen, ob Kinder auch einmal wie Rinder sein können. Gewisse Ähnlichkeit gebe es schon in der Art, wie man solch große Gruppen bändigt, lacht er. Es gehe um eine gewisse Klarheit in den Handlungen und Abläufen sowie Konsequenz bei Fehlverhalten. Ansonsten würden sich auch manche Gruppendynamiken ähneln, wenn man denn unbedingt vergleichen wolle. Und allgemein: "Wenn’s den Kindern bzw. den Rindern gut geht, freut es mich".

Wir kommen wieder am Weizenfeld vorbei und Nico Wirth merkt noch an, dass ihm die durchaus anstrengende Arbeit an der frischen Luft gut tue. Und ihm gefalle auch die kontemplative Zeit beim Pflügen, wenn er fünf bis sechs Stunden das Feld auf und ab fährt. Das sei ein sehr guter Ausgleich zur Lehrertätigkeit, in der man viele Stunden am Stück hoch konzentriert sein müsse. Er bereue die Entscheidung zu dieser Doppelbelastung durchaus nicht. "Respekt", denkt der etika-Angestellte und freut sich darauf, bald wieder zu kommen, um sich die neue Halle anzuschauen. Im September 2017 ist es so weit: eine etika-Velotour führt am Hof vorbei. Und tatsächlich steht neben den Stallungen jetzt eine imposante Halle in Holzbauweise (unterstes Foto).

In absehbarer Zeit wird dann wohl bald eines der alten Gebäude des elterlichen Hofes, das jetzt nicht mehr gebraucht wird, abgerissen, damit das Gelände als Bauland genutzt werden kann. Dippach wird dann wieder ein Stück dörflichen Charakters verlieren. Jedenfalls in den Augen eines flüchtigen Betrachters. Aber nur scheinbar.

Kontakt : Nico Wirth, 143, rue des Muguets, L-2167 Luxembourg, Tel. : 621 360 622, nico.wirth@education.lu

Artikel vom 22. November 2016, aktualisiert am 15. Februar 2018