Und jetzt alle zusammen!

, von Ekkehart Schmidt






















Die Klimaaktivist*innen, die in den vergangenen Wochen zwei beeindruckend große Demonstrationen organisiert haben, stellen die Systemfrage: „Wenn die Politik feststellt, dass wir in diesem System die Klimakrise nicht lösen können, müssen wir das System ändern“, drückte es eine junge Frau aus. Gemeint ist der ungebremst den Globus und die Menschheit in existentielle Krisen stürzende Kapitalismus. Aber, und das möchten wir von etika, die wir als Mitglied von Votum Klima Co-Organisator der Demonstration „United for Climate Justice“ am 27. September waren, unterstreichen: Es geht hierzulande insbesondere um den Finanzplatz.

Was in den USA die Verquickung der Waffenindustrie mit der Politik, in Frankreich der Atomindustrie und in Deutschland der Automobilindustrie ist, ist in Luxemburg der Komplex Politik-Finanzplatz. In jedem dieser Länder sind diese Schlüsselindustrien des Wohlstands unantastbar, ja sakrosankt. Diese von einem oft intransparenten Geflecht aus nationalem Interesse und Abhängigkeiten protegierten Branchen tragen in Zeiten der Klimakrise eine hohe Verantwortung. Werden sie dieser gerecht?

Um die globale Erhitzung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, müssten die stetig steigenden Treibhaus-Emissionen in den nächsten zehn Jahren halbiert und bis 2050 komplett gestoppt werden. Notwendig wäre eine starke Reduzierung des Einsatzes fossiler Brennstoffe wie Kohle oder Erdöl zur Energiegewinnung. Wenn das nicht gelingt, wird sich die Erde weiter erhitzen.

Weltweit breitet sich zunehmend Chaos aus: Nicht nur der Klimakrise, der dramatische Verlust an Artenvielfalt und der Anstieg der – von Plastik verseuchten – Ozeane wird zur Realität, auch der Graben zwischen Arm und Reich vertieft sich, Staaten zerfallen oder stehen vor dem Bankrott, während die UNO die größten Fluchtbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg registriert.

Wie die kürzlich mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnete 16jährige Greta Thunberg erläuterte, hätten ihre Eltern zunächst gedacht, dass es keinen Grund zur Sorge gebe, weil die Menschen alles unter Kontrolle hätten. Das war ein Trugschluss, der sie zum Handeln brachte.

Wir sehen nun - auch durch die von ihr angestoßenen weltweiten und nicht nachlassenden Demonstrationen -, dass diese Krisen die traditionellen politischen Systeme in Bedrängnis bringen, weil sie keine angemessenen Antworten finden. Da führt zu weltanschaulichen Verwerfungen. Der Glaube an den technischen Fortschritt weicht zusehends Skepsis, Angst und Unsicherheit, religiös-fundamentalistische und politisch rechte Strömungen erhalten Auftrieb.

Die oben zitierte junge luxemburgische Klimaaktivistin hat Recht. Politik und Wirtschaftscheinen nicht in der Lage zu sein, das offensichtlich notwendige zu tun. Liegt das am System? Die woxx ist da ganz klar: Ernsthafte Klimapolitik würde einen gewaltigen Umbau des Wirtschaftssystems bedeuten.

In seinem Buch „Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation“ zeigt Fabian Scheidler, wie der Kapitalismus nach 500 Jahren Expansion in eine tiefe Krisen geraten ist. «Wir bewegen uns in eine chaotische Übergangsphase hinein, die einige Jahrzehnte andauern kann und deren Ausgang vollkommen offen ist. Während die alten Ordnungen brüchig werden, entflammt ein Kampf darum, wer die Zukunft bestimmt und wie diese aussehen wird.» so der Autor. Er fragt sich: Werden sich autoritäre Kräfte durchsetzen oder können soziale und ökologische Bewegungen die systemischen Risse nutzen, um eine gerechtere und friedlichere Welt aufzubauen?

Wer könnte nun der entscheidende Akteur zur Lösung der Krise(n) sein? Politik, Wirtschaft oder Konsumenten? Erstere werden dieser Verantwortung nur unzureichend gerecht. Das veränderte Handeln letzterer reicht nicht. Somit fällt unseres Erachtens der Zivilgesellschaft die Aufgabe zu, klare und auch radikale Forderungen zu stellen. Dies betrifft vor allem den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energien und der konventionellen Landwirtschaft. Die Wirtschaft und der Finanzplatz müssen radikal grüner werden, im Idealfall klimaneutral. Sie müssen, um es plakativ auszudrücken, schneller auf Entzug der Droge billiger fossiler Energien gehen.

Die jungen Leute von Fridays for Future, Extinction Rebellion und Youth for Climate haben gute Gründe, so lange zu streiken, bis kein Zweifel mehr daran besteht, dass wirklich gehandelt werden muss. Akteuren wie etika fällt die Aufgabe zu, die schädlichen Handlungsmechanismen am Finanzplatz klar zu benennen. Und einzelne Akteure. Daher haben wir uns im Juni und Juli an vier weiteren Demonstrationen und Aktionen zivilen Ungehorsams beteiligt, die insbesondere öffentliche Banken darauf aufmerksam machten, dass es nicht mehr akzeptiert wird, wenn weiter in die Infrastruktur für fossile Energien investiert wird.

Wir leben in einem System, das durch verschiedene, sich parallel entwickelnde Krisen zu kollabieren droht. Der Kapitalismus frisst uns auf und reißt zudem unsere natürlichen Lebensgrundlagen mit. Aber wir können das stoppen, denn wir sind viele. Jede*r einzelne von uns. Wenn es heißt, dass sich globale Probleme nur global lösen lassen, darf das kein Freibrief sein, abzuwarten. Bei vielen Lösungsansätzen geht immer irgendjemand den ersten entscheidenden Schritt – dem andere begeistert und erleichtert folgen.

Artikel vom 27. September 2019, aktualisiert am 30. September