Nach der internationalen Klimakonferenz im südafrikanischen Durban im November 2011 findet im Juni 2012 in Rio de Janeiro (Brasilien) das 20jährige Jubiläum des Weltgipfels („Earth Summit“) der Vereinten Nationen statt, die sogenannte „Rio+20“-Konferenz. In der Rio-Deklaration von 1992 wurde erstmals das Recht auf nachhaltige Entwicklung verankert. Als unerlässliche Voraussetzungen hierfür wurden u.a. die Bekämpfung der Armut, die Verringerung nicht nachhaltiger Konsum- und Produktionsweisen sowie die umfassende Einbeziehung der Bevölkerung in politische Entscheidungsprozesse genannt. Außerdem wurden mehrere Konventionen verabschiedet, darunter die Klima-Rahmenkonvention. Deren Ziel ist es, den weltweiten Ausstoß von Treibhausgasen soweit zu reduzieren, dass der gefährliche Klimawandel und seine verheerenden Folgen für Mensch und Natur begrenzt werden können.
Aus diesem Anlass analysiert „Votum Klima“ in einer Artikelserie „Von Durban nach Rio“ bis Juni im Luxemburger Wort folgende Themen zu Klimaschutz, sozialer Gerechtigkeit und nachhaltiger Entwicklung: die aktuelle EU-Klimapolitik, die Problematik von Agrokraftstoffen, Halbzeit bis zur nächsten Klimakonferenz in Qatar, die internationale Klimaschutzfinanzierung, der Emissionshandel mit „heißer Luft“, Klimagerechtigkeit und Verwundbarkeit („Vulnerabilität“) sowie die „Rio+20“-Konferenz.
„Votum Klima“ ist ein Bündnis von 30 Luxemburger Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus den Bereichen Umwelt- und Naturschutz, Entwicklung, Landwirtschaft, im sozialen Bereich tätige NGOs, Menschen- und Tierrechts-NGOs sowie der katholischen Kirche und etika. „Votum Klima“ wurde im Jahr 2009 gegründet. Ein Hauptanliegen der Initiative ist es, die Bedeutung des Klimaschutzes für Wirtschaft und Gesellschaft, internationale Entwicklung, globale Gerechtigkeit und damit auch für den weltweiten Frieden zu verdeutlichen.
Teil 1:
„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“
Die aktuelle Klimapolitik der EU schadet nicht nur den Menschen und der Umwelt, sondern verhindert den Wandel der EU zu einer zukunftsorientierten Volkswirtschaft
Am morgigen Freitag, 9. März, werden die 27 Umweltminister der EU über den zukünftigen Kurs beim Klimaschutz diskutieren. Obwohl die Zeit drängt, ist zu befürchten, dass die Umweltminister erneut keinen Durchbruch erzielen werden. Die EU ist durch Handlungsunfähigkeit gekennzeichnet, verursacht durch die Eigeninteressen einiger weniger Staaten und energieintensiver Industriezweige. Dabei wurde mehrfach belegt, dass eine ambitiöse Klimapolitik zum Vorteil für Europa ist.
Die EU will ihre Treibhausgasemissionen bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 20% verringern. Aus wissenschaftlicher Sicht reicht dieses Ziel jedoch nicht aus. Die Industriestaaten müssen ihre Treibhausgase um mindestens 30%, besser noch um 40% bis 2020 verringern. Seit der Kopenhagener Klimakonferenz im Dezember 2009 diskutiert die EU darüber, ob sie unilateral ein Reduktionsziel von minus 30% bis 2020 beschließen soll, d.h. selbst wenn andere große CO2-Verursacher sich nicht zu weitergehenden Klimaschutzverpflichtungen bereit erklären.
Klimaschutz in Europa: Gefahr des Stillstands
Die Europäische Umweltagentur kommt zu dem Ergebnis, dass die EU ihr Reduktionsziel bereits zu einem großen Teil erreicht hat: 2010 lagen die Emissionen um 15,5% niedriger als 1990. Fachleute gehen davon aus, dass die restlichen Reduktionen durch die Umsetzung der Energieeffizienzziele erreicht werden. Demgegenüber hat der Emissionshandel, das Flaggschiff der EU-Klimapolitik, versagt. Für große CO2-Emittenten ist es einfacher, billige Emissionsrechte zu kaufen, anstatt in klimafreundliche Produktionsmethoden zu investieren. Obwohl in allen Sektoren große CO2-Einsparpotentiale (1) vorhanden sind, ist die Gefahr groß, dass in den nächsten 8-10 Jahren beim Klimaschutz in der EU nicht viel geschehen wird.
Klimaschutz: „Win-win-win“-Strategie für Ökologie, Ökonomie und Soziales
Dies wird sich zum Nachteil für die Wirtschaft und die privaten Haushalte in Europa auswirken. Die Verringerung unseres Energieverbrauchs und unserer Treibhausgasemissionen ist nicht nur für den Klimaschutz wichtig. Die Abhängigkeit der EU von Energieimporten und die steigenden Energiekosten belasten zunehmend die Wirtschaft. Für immer mehr Haushalte, die ihre Strom- und Heizungsrechnungen nicht mehr begleichen können, wird „Energiearmut“ zu einem ernsthaften Problem. Führende Forschungsinstitute (2), etwa 100 europäische Großunternehmen (3) und der Europäische Dachverband der Baugewerkschaften (4) haben wiederholt darauf hingewiesen, dass eine Erhöhung der EU-Klimaschutzziele dringend notwendig ist, um die Innovation in der Wirtschaft und die Schaffung von Millionen neuer, zusätzlicher Arbeitsplätze in Europa zu fördern.
EU in Sachen Klimaschutz de facto handlungsunfähig
Anfang Februar hat die EU-Kommission eine Kosten-Nutzen-Analyse zur Erhöhung des Klimaschutzzieles vorgestellt (5). Die Analyse kommt zu dem Schluss, dass alle EU-Staaten von einem ambitiöseren Klimaschutzziel profitieren würden. Doch der morgige Umweltrat wird erneut keine strengeren Klimaziele bis 2020 beschließen. Stattdessen stehen die „Meilensteine“ der EU-Klimapolitik bis 2030, 2040 und 2050 auf der Tagesordnung...
Die Umweltminister Deutschlands, Englands, Dänemarks, Schwedens, Spaniens, Griechenlands und Portugals hatten sich im März 2011 für strengere Klimaschutzziele ausgesprochen (6). Seit Anfang dieser Woche unterstützen die drei Regionen Belgiens das 30%-Ziel. Eine ambitiöse europäische Klimapolitik scheitert am Widerstand einiger Länder, wie z.B. das von der Kohleindustrie dominierte Polen. Und Länder, die sich bedeckt halten, bringen den Prozess auch nicht vorwärts - wie zum Beispiel Luxemburg.
Die ambivalente Position Luxemburgs
Die Luxemburger Regierung hat sich bislang nicht öffentlich für eine Erhöhung der EU-Klimaschutzziele ausgesprochen. Diese Haltung steht im Widerspruch zu den Aussagen von Premierminister Jean-Claude Juncker, der Anfang 2010 anlässlich einer Unterredung mit Votum Klima strengere europäische Klimaschutzziele unterstützt hatte.
Votum Klima fordert die Luxemburger Regierung auf, sich in der EU für strengere Klimaschutzziele einzusetzen und hierzulande eine entsprechende Klimapolitik einzuleiten. Auch in Luxemburg belasten steigende Energiepreise zunehmend die Haushalte und die Wirtschaft. Ein „Ja“ unserer Regierung zu einer ambitiösen Klimapolitik bedeutet ein „Ja“ zu einer zukunftsorientierten Energie- und Wirtschaftspolitik für Europa und für Luxemburg.
Zum Weiterlesen:
(1) A Roadmap for moving to a competitive low carbon economy in 2050. European Commission.
(2) A New Growth Path for Europe. Generating Prosperity and Jobs in the Low-Carbon Economy. Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, Oxford University, Sorbonne University, E3M Lab, European Climate Forum. Commissioned by the German Federal Ministry for the Environment, Nature Conservation and Nuclear Safety
(4) www.bwint.org
(5) Analysis of options beyond 20% GHG emission reductions: Member State results. European Commission.