Zunächst ist sie ja seltsam verhallt, tagelang fast ignoriert worden, zumindest gab es dazu im Blätterwald lange keine wertenden Aussagen, ...als seien alle sprachlos: Die von Bill Gates und Warren Buffett im August 2010 angestoßene Initiative, 40 Milliardäre weltweit dazu zu bringen, die Hälfte ihres Vermögens wohltätigen Zwecken zu spenden. Hatte da jemand ein schlechtes Gewissen angesichts seines „unanständigen“ Reichtums? Oder wäre es denkbar, dass man ab einer bestimmten Vermögenssumme tatsächlich aus ehrenhaften Motiven auf die Hälfte verzichten kann?
Der Microsoft-Gründer und der Investor waren kurz zuvor entthront worden: Die Forbes-Liste der reichsten Menschen der Erde wird erstmals von einer Person angeführt, die nicht aus dem Norden, also der westlichen Hemisphäre im engeren Sinne, entstammt: dem mexikanischen Telekommunikations-Tycoon Carlos Slim Helu. Gemäß dem US-amerikanischen Magazin verfügt er über 53,5 Milliarden Dollar und damit eine halbe Milliarde Dollar mehr als Vorjahressieger Gates. Die Listen gibt es schon seit Jahren, aber erst mit der Finanzkrise wurde so richtig deutlich, dass die Globalisierung Superreiche erzeugt hat, die nicht zwingend in Monaco, Florida, Gstaad oder einer englischen Grafschaft ihren Wohnsitz gemeldet, sondern in Moskau, Hongkong oder Kairo ihr Geld gemacht haben.
2009 hat die Internet-Agentur I-Spirit eine Weltkarte erstellt, die aufzeigt, wo weltweit Milliardäre leben. Gemäss Forbes gab es zu diesem Zeitpunkt 794 Dollar-Milliardäre. I-Spirit hat sie lokalisiert um eine globale Vorstellung ihrer Verteilung zu ermöglichen. Die Karte unterscheidet nach unterschiedlichen Klassifikationen (Alter, Land) und gibt in Info-Boxen persönliche Informationen (Nationalität, Höhe des Vermögens, Wohnort etc.). In den Vereinigten Staaten lebten dem gemäß 354 Milliardäre, in Deutschland 45, in Frankreich zehn, in Afrika acht - in Luxemburg jedoch kein einziger. Der Atlas zeigt allerdings nicht, wo bzw. über welchen Finanzplatz diese Personen ihr Vermögen investiert und vermehrt haben. Und er zeigt nicht die Millionäre: 2009 gab es gemäß dem Global Wealth Report der Boston Consulting Group weltweit 11,2 Millionen.
Die Globalisierung erzeugt auch im Süden Superreiche
2010 ist China der große Gewinner mit 64 Superreichen. Nur in den USA gibt es mit 403 mehr Milliardäre als in der Volksrepublik. Dritter ist Russland mit 62 Milliardären. Von den weltweit 97 neuen Milliardären kommen allein 62 aus Asien. Gleich zwei Inder - Ölmagnat Mukesh Ambani (Platz 4 mit 29 Mrd. Dollar) und Stahltycoon Lakshmi Mittal (Rang 5 mit 28,7 Mrd. Dollar) - finden sich in der Top Ten. Wenn es auch interkontinental zu Ausgleichsprozessen gekommen ist, fällt doch auf, dass die an Rohstoffen und Unternehmern reichen Kontinente Afrika und Lateinamerika in der Liste kaum vertreten sind.
Hier drängt sich die Frage auf, wie es zu dieser Ungleichverteilung kommt und woher der Reichtum stammt. Natürlich: Ungleichheiten im Einkommen gibt es weltweit. Es gibt einen Norden im Süden und es gibt einen Süden im Norden. Im Süden wirken diese Ungleichheiten natürlich ungleich brutaler. Und hier gibt es offenkundigere Zusammenhänge zwischen exorbitant hohen Gewinnen und Niedriglöhnen.
Aktuell leiden gerade wieder die Ärmsten des Südens darunter, dass im Norden die Spekulation auf Rohstoffe neu begonnen hat und die Preise von Getreide, Mais oder Reis so stark steigen, dass sich sogar die sie produzierenden Bauern und Landarbeiter diese kaum noch leisten können.
Milliardenschweres Brüdertrio
Die Milliardäre des Südens haben sich ihren Reichtum jedoch nicht an der Börse erworben, ihn dort höchstens vermehren lassen. Sie entstammen eher jungen, schnell expandierenden Branchen wie der Telekommunikation, dem Tourismus oder dem internationalen Bausektor. Ein Beispiel dafür sind die ägyptischen Brüder Nassef, Naguib und Samih Sawiris. Auf der Forbes-Liste standen sie 2010 mit einem Vermögen von zusammen gut 10 Mrd. Dollar auf Rang 127, 374 und 655. Jeder von ihnen ist in Ägypten Pionier einer anderen Branche. Als Familie gelten die Sawiris als „die ägyptischen Rockefellers“, nur dass ihr Aufstieg nicht so gradlinig, sondern eher stürmisch verlief.
Vater Onsi (80), ein koptischer Christ und Sohn eines Rechtsanwaltes aus Oberägypten, belegt mit einem Vermögen von 3,1 Mrd. Dollar Rang 307 der Liste. Er hatte zunächst Landwirtschaft studiert, aber sehr bald das Fach gewechselt. 1950 gründete er ein Bauunternehmen, das schon 1961 so groß geworden war, dass Revolutionsführer Gamal abd el-Nasser es verstaatlichen ließ. Onsi sagte sich: „Als Angestellter in der eigenen Firma arbeiten - niemals“. Er ließ sich durch die Enteignung nicht unterkriegen, ging nach Libyen, gründet wieder eine Baufirma, war erneut erfolgreich und verlor durch die Machübernahme von Gaddafi 1969 abermals alles. Doch mit der „Infitah“ Sadats, der Liberalisierung der ägyptischen Wirtschaft, bot sich ihm 1972 die Chance zur Rückkehr und – mit einem halben Dutzend Mitarbeitern - erneuten Gründung eines Bauunternehmens, das der dreifache Vater Orascom nannte. Es wuchs besonders kräftig, nachdem seine Söhne mit neuen Ideen von ihren Studien an der ETH Zürich (Naguib), der TU Berlin (Samih) und der University of Chicago (Nassef) zurückkehrten. Jeder entdeckte eine andere Wachstumsbranche, hat Rainer Herrmann analysiert (F.A.Z. vom 11. Dezember 2007): „Unter dem Dach der Orascom Holding entstanden die Unternehmen Orascom Telecom (OT), Orascom Hotels and Development (OHD) und Orascom Construction Industries (OCI). Jedes von ihnen ist weit über Ägypten hinaus Marktführer“.
Der 1954 geborene älteste Bruder Naguib Nist der Vorstandsvorsitzende und größte Aktionär des Telekommunikationsunternehmens OT. Er lebt in Kairo, ist verheiratet und hat vier Kinder. Der Kopte besuchte in Kairo die deutsche Schule und studierte an der Universität Zürich. Die 1988 gegründete Orascom Telecom Holding zählt heute zu den führenden Anbietern im Nahen Osten, Afrika und Südasien. In Ägypten betreibt er mit dem GSM-Netzwerk MobiNil den größten Mobilfunkanbieter der arabischen Welt und Afrikas. 2005 expandierte er nach Europa und erwarb neue Telekomlizenzen und Märkte, unter anderem in Italien (Wind) und Griechenland (TIM Hellas). In der Forbes-Liste wird er mit einem Vermögen von 2,5 Mrd. Dollar geführt.
Naguib galt 2008 mit einem Vermögen von 12,7 Mrd. Dollar noch als reichster Mann Afrikas. In der Krise verlor er 10 Mrd. Dollar und liegt nun hinter seinem jüngsten Bruder Nassef (48), dessen Vermögen auf 5,9 Mrd. Dollar gewachsen ist Der Chef des Bauunternehmens OCI, das als sehr gut geführtes Unternehmen gilt, setzt wie sein Vater auch schon einmal auf risikoreiche Investments, heißt es. So baute er für 75 Millionen Euro eine Zementfabrik in Nordkorea. In Kairo leitete er mit dem Bau der „Nile Towers“ und dem „Conrad Hotel“ die stetig voranschreitende Transformation des alten Hafenvororts Boulaq ein (Foto: links). In Dubai baute OCI den Burj Dubai, das höchste Gebäude der Welt. Doch OCI baut nicht nur. In weniger als zehn Jahren formte Nassef aus einem reinen Bauunternehmen einen international tätigen Bau- und Baustoffkonzern, zu dem nicht nur die Egyptian Cement Company gehört (die drittgrößte Zementfabrik in der Welt), sondern auch die ägyptischen Exklusivrechte für Microsoft und Mc Donalds besitzt.
Nassef war gerade 29 Jahre alt und von seinem Wirtschaftsstudium in Chicago zurückgekehrt, als ihm sein Vater das Baugeschäft überließ, 1998 machte er sich mit OCI selbstständig und erwarb zur Aufrechterhaltung des Wachstums schnell andere Baufirmen im Nahen Osten, Indonesien und Houston/Texas. Das Geschäft in Ägypten, wo Vater Onsi einst zu bauen begonnen hatte, steuert heute nicht einmal mehr ein Fünftel zum OCI-Gesamtgeschäft bei.
Der 1957 in Kairo geborene Samih Sawiris schließlich ist im Konzern mit Orascom Development für den Bereich Tourismus zuständig. Er wird auch gern als „Der Mann, der die Wüste zum Leben erweckte“ genannt. Seine erste Million machte er mit 24 Jahren. Mit einem Vermögen von 1,5 Mrd. Dollar wird er „nur“ auf Platz 655 der Forbes-Liste geführt. Samih studierte Wirtschafts-Ingenieurwesen an der TU-Berlin und baute nebenbei in Ägypten eine Schiffsfabrik auf. Bekannt wurde er mit dem Aufbau der Tourismusresorts „Taba Heights“ und „El Gouna“ – der Stadt aus dem „Nichts“ am Roten Meer.
Milliardeninvestitionen aus dem Süden
Im September 2009 erfolgt der erste Spatenstich zu einem weiteren spektakulären Urlaubsressort im verschlafenen schweizerischen Andermatt, wo auf 1, 46 Quadratkilometern eine Milliarde Franken zum Bau mehrerer Hotels, Villen und Ferienhäuser, einem 18-Loch-Golfplatz, Geschäften sowie einem Sport- und Freizeitzentrum mit Eissporthalle und Hallenbad investiert werden sollen. Der „Alpine Pharaoh“ Samih Sawiris, wie er bei Forbes genannt wird, möchte hier ein zweites St. Moritz entwickeln. Für diese Vision wurde er Ende 2009 von Schweizer Wirtschaftsjournalisten zum „Unternehmer des Jahres“ gewählt. Nach dem ersten Spatenstich geschah jedoch ein halbes Jahr lang nichts. Langsam wächst in Andermatt die Angst vor einer Riesen-Fata-Morgana. Skeptiker, die vor den Milliarden aus dem Süden warnten, fühlen sich bestätigt. So etwas kannte man bislang nur im deutschen und englischen Profifußball, seitdem russische Milliardäre weltweit renommierte Clubs erwerben, als handele es sich um Spielzeuge.
In der Heimat der Sawiris gibt es (öffentlich) kaum etwas Negatives zu hören. Eine Ausnahme sind kritische Stimmen wie die von Mona Abaza, eine an der American University of Cairo lehrende Soziologin. Sie erinnert angesichts dieser durchaus faszinierenden Erfolgsgeschichten daran, dass eine derartige Konzentration an Reichtum in der Hand weniger Familien eine „logische Folge“ der „Open-door-Politik“ von Sadat seien. In den Jahren nach dem Yom Kippur Krieg mit Israel 1973 öffnete der ägyptische Präsident die bislang vom staatlichen Sektor dominierte Wirtschaft für private Investoren aus dem In- und Ausland. Das Vermögen der Familie Sawiri mache 40% der Marktkapitalisierung der Börse in Kairo aus, stellte sie 2006 fest. Die Sawiris können insofern als Paradebeispiele der „fetten Katzen“ gelten, von denen man schon in den 1980er-Jahren sprach. Und den Neoliberalismus-Kritiker Timothy Mitchell erinnern die Sawiris insofern nicht nur an die Rockefellers, sondern auch an die Fords, als sie enge Beziehungen zur machthabenden Familie unterhalten.
Wie gewonnen, so zerronnen. Auch wer zu viel Geld besitzt, gerät schnell in größere Schwierigkeiten. Neben Naguib Sawiris hat auch der heutige Spitzenmilliardär Carlos Slim Helu, übrigens ein Abkömmling syrischer Einwanderer in Mexiko, in der Finanzkrise viel verloren: satte 25 Mrd. Dollar. Die Rezession von 2008 hat binnen eines Jahres 355 der reichsten Menschen der Welt zu Ex-Milliardären gemacht. Während sich Anfang des Jahres noch 1.125 Wohlhabende mit dem Titel eines Dollar-Milliardärs schmücken konnten, waren es im März 2009 nur noch 793. Besonders hart traf es die Reichen in Russland, Indien und der Türkei. Aber Reichtum vergeht nicht: Gemäß der Forbes-Liste vom März 2010 gibt es heute wieder über 1.000 Milliardäre.
Gesellschaftspolitische Verantwortung der Reichen
Wo die Katzen ihre „Mäuse“ deponiert haben und inwieweit sie auch versteuert wurden und so ein Teil des Reichtums dem eigenen Land wieder zugute kommt, ist eine andere Frage. Ägypten ist das afrikanische Land mit der dritthöchsten Kapitalflucht nach Südafrika und Nigeria: In den Jahren von 1999 bis 2008 floß nach Angaben derOrganisation Global Financial Integrity jährlich Kapital in Höhe von 5,6 Mrd. Dollar in illegitimer Weise aus dem Land. Wohltätige Spenden sind schön und gut, eine legale Verwendung der Steuerschuld durch die jeweiligen Staaten sollte jedoch die Vorbedingung sein. Schließlich kann man mit Spenden Steuern in Milliardenhöhe sparen.
Der Konzernchef und Milliardär Shafik Gabr betont die gesellschaftspolitische Verantwortung der Reichen. Der Ägypter ist im Vergleich zu den Sawiris ein eher kleiner Fisch, aber als Netzwerker bekannt, der sich für den Frieden in Nahost einsetzt. Der Vorstandschef des Mischkonzerns Artoc, die in so verschiedenen Bereichen wie Automobil, Stahl, Energie und Konsumprodukten aktiv ist, hat eine Stiftung gegründet, die sich in Grundschulen engagiert. Er betont, wie wichtig eine gute Bildung und unternehmerisches Denken für die Lösung der Probleme seines Landes sind. Die lange von Zentralisierung und Nationalisierung geprägte ägyptische Gesellschaft fange gerade erst an, das Konzept des Unternehmertums zu akzeptieren, womit er nicht die zigtausend Kleinhändler und Reparaturbetriebe meint. Bislang hätten es erst wenige als Unternehmer im westlichen Sinne zum Erfolg gebracht, sagt er. Die wenigen scheinen dann allerdings wiederum zu dominant geworden zu sein.
Quellen:
- Mona Abaza: The changing Consumer Cultures of Modern Egypt. Cairo’s Urban Reshaping, AUC Press, Kairo 2006
- The Boston Consulting Group: Global Wealth Stages a Strong Comeback, but Wealth Managers Still See Performance Declines and Challenges Ahead, Pressemitteilung vom 10. Juni 2010 (in: http://www.bcg.com/media/PressReleaseDetails.aspx?id=tcm:12-49877)
- Cordelia Chaton: “Einige Standorte wieder interessanter“. Interview mit Shafik Gabr. In: Luxemburger Wort, 24.08.2010
- Global Financial Integrity: Illicit Financial Flows from Africa:Hidden ressource for development. Siehe: www.gfip.org
- Rainer Herrmann: Nassef Sawiris baut das höchste Gebäude der Welt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.12.2007
- Timothy Mitchell: Dreamland: The Neoliberalism of Your Desire, Middle East Report, Spring 1999, S. 28-33
- Chris Melzer: US-Milliardäre spenden Hälfte ihres Vermögens: Gates und Buffett nehmen Chinas Superreiche ins Visier, Der Stern, 05.08.2010
- Süddeutsche Zeitung: Forbes-Liste 2010. Die Reichen melden sich zurück, 11.03.2010
Fotos: Ekkehart Schmidt
Artikel vom 28.09.2010