Es war einmal ... (1 bis 14)

, von Ekkehart Schmidt

(14) Schlechte Anreize

Seit der Finanzkrise 2007 hat sich eine Debatte über die Vergütung der Finanz-Manager entwickelt. Bislang haben die Banken jedoch Forderungen nach Kürzungen der allgemein als raffgierig hoch empfundenen Leistungsboni für Investmentbanker und Führungskräfte meist mit dem Hinweis abgewiesen, dass ihre besten Mitarbeiter dann von der Konkurrenz abgeworben werden würden. Diesem Argument fehlt zunehmend die Substanz, seitdem quer durch die gesamte Branche Arbeitsplätze abgebaut werden.

Der Wirtschaftsethiker Ingo Pies (Universität Halle) betont: "Die Anreizsysteme der Banker waren exzessiv. Wir haben es damit übertrieben, sie zu mehr Risikofreude anzutreiben". Viele Banken haben bereits ihre Systeme angepasst. Seit 2009 werden die Boni auf Druck der Regulierer in vielen Banken nicht mehr vollständig nach Jahresende ausgezahlt. ein Teil davon wird jetzt auf die Folgejahre verteilt, um besser kontrollieren zu können, ob die mit einem Bonus belohnten Leistungen und Erfolge sich für die Bank tatsächlich als nachhaltig erwiesen haben oder ob ihr langfristig möglicherweise Schaden entstanden ist.

Ausgerechnet die Deutsche Bank, die in der Vergangenheit immer wieder in die Schlagzeilen geraten war (die Behörden ermitteln, ob Mitarbeiter den Referenzzins Libor manipuliert haben, auch die Geschäfte mit dem Iran werden durchleuchtet), verschärft nach Agaben der Süddeutschen Zeitung (29.08.12) nun ihre Vergütungsregeln. Das neue Führungsduo Anshu Jain und Jürgen Fitschen rief gar einen "Kulturwandel" in der Branche aus und bekannte sich dazu, hierbei "an vorderster Front" stehen zu wollen.

Ausgerechnet Anshu Jain - da mangelt es nicht an Symbolkraft, wenn jener Banker, der über viele Jahre wie kein anderer vom üppigen Boni-System der Bank profitiert hat und 2011 mit 9,8 Millionen Euro sogar mehr erhielt als sein damaliger Chef Josef Ackermann, nun den Rotstift bei den Gehaltszetteln ansetzt. Schon zum Jahresanfang 2012 sind die Boni-Regeln bei der Deutschen Bank deutlich verschärft worden: Aktienpakete für neue Führungskräfte - wenn sie aufgrund ihrer Aufgaben als "Risikoträger" eingestuft werden - können zurückgefordert werden, wenn es dem Finanzinstitut schlecht geht.

Der Hintergrund, weshalb man Manager nicht zur Gänze für ihre Fehler in Haftung nehmen möchte, ist - so Ingo Pies -, dass man Platz für Innovationen lassen wolle. doch ohne Risiken einzugehen, sind Innovationen nicht möglich. Bei den Banken geht es nun darum, diese Risikofreude wieder einzubremsen.

Die Deutsche Bank versucht offensichtlich, ihren desaströsen Ruf zu verbessern. Ob das gelingen wird? Andrea Rexer kommentiert für die Süddeutsche Zeitung (27.08.12): Die Änderung des Vergütungssystems "wird nicht ausreichen, um den Kulturwandel glaubwürdig darzustellen. Jain und Fitschen sollten sich auch fragen, ob weiterhin die Investmentbanker die höchsten Boni einstreichen sollten, oder ob nicht andere Mitarbeiter mehr zum langfristigen Erfolg der Bank beitragen: risikomanager etwa, die Schieflagen verhindern, oder Kundenbetreuer, deren Klienten der Bank jahrelang treu bleiben. Gelingt es der Bank, die Anreize so zu verändern, dass die Mitarbeiter die langfristigen Ziele besser im Auge haben, werden sie dadurch auch höhere Gewinne einfahren,. Das ist kein Wettbewerbsnachteil, sondern ein Wettbewerbsvorteil".

(13) Gewählte Regierungen

Zusammen mit einer "Riege ausgewiesener Experten" ist der neue italienische Premierminister Mario Monti Mitte November 2011 angetreten, sein Land aus der Krise zu führen. In Griechenland war es wenige Wochen vorher kaum anders: Das Papademos-Kabinett setzt auf Inhalt und Fachkompetenz, heisst es.

Sind Experten also die besseren Politiker? Beantworten läst sich das so früh noch nicht. Aber die Märkte waren "beruhigt" und das war kurzfristig erst einmal ein guter Effekt. "Dass Experten das Ruder übernehmen müssen, ist letztlich nichts anderes als die Bankrotterklärung der Politik", urteilte das Luxemburger Wort (18.11.11)

In Griechenland führt seit dem 10.11.2011 Lukas Papademos die Regierungsgeschäfte. Der ehemalige Vizechef der europäischen Zentralbank wollte eigentlich nichts mit Politik zu tun haben. Nun führt er für unbestimmte Zeit eine provisorische Regierung, die von niemandem, ausser einigen Berufspolitikern in Athen und Brüssel (aus)gewählt worden ist. Ein Banker als Konkursverwalter. Ausgerechnet.

Papademos ist nicht der einzige: Auch Monti sowie der neue Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi sind alle drei nicht nur ehemalige Banker, sondern stammen auch aus dem gleichen Haus: Goldman Sachs. Zur Erinnerung: Das ist diejenige amerikanische Investmentbank, die zum Symbol der Exzesse der Wall Street wurde.

Und als wäre es ein schlechter Witz: Auch der im Dezember 2012 berufene neue spanische Wirtschaftsminister Luis de Guindos ist ein ehemaliger Top-Manager der US-Bank Lehman Brothers, deren Pleite die globale Finanzkrise entscheidend verschärfte. Er soll "als Vertreter der ultraliberalen Wirtschaftsdoktrin" (Tageblatt vom 27.12.2011) Spanien zugleich einen harten Austeritätskurs verordnen und für Wirtschaftswachstum sorgen.

Auch in den Staten des revolutionären Umbruchs in Nordafrika halten bzw. hielten monatelang keine gewählten Regierungen die Macht in ihren Händen, sondern Militärs. In Libyen wurde im Herbst 2011 eine Übergangsregierung installiert. Bemerkenswert: Der neue Ölminister ist ein früherer leitender Manager des italienischen Erdölkonzerns ENI. Er ist zweifelsfrei eine der sachkundigsten Personen für diesen "Job", möglicherweise aber nur ein Erfüllungsgehilfe der Interessen seines früheren Arbeitgebers. In einer Demokratie wäre seine Aufgabe dagegen, alleine die Interessen des libyschen Volkes zu vertreten.

(12) Israelische Kolonisierung mit Dexia-Krediten

Der 82 Organisationen umfassenden Plattform "Israel kolonisiert - Dexia finanziert" ist es im Mai 2011 nach dreijähriger unermüdlicher Öffentlichkeitsarbeit gelungen, den französisch-belgischen Finanzkonzern Dexia dazu zu bringen, seine israelische Filiale zu verkaufen. "Unter dem Druck der Aktionäre wird Dexia Israel bis zu diesem Sommer verkauft", kündigte Verwaltungsratspräsident Jean-Luc Dehaene Mitte Mai auf der Hauptversammlung an.
Dexia Israel wurde kritisiert, illegale israelische Siedlungen auf der besetzten Westbank zu finanzieren. Die Bank ist auf die Finanzierung öffentlicher Bauaufträge spezialisiert. Die Plattform hatte zehntausende Postkarten und mehr als tausend Briefe verschickt, Parlamentsabgeordnete für das Thema sensibilisiert, vor 25 belgischen Dexia-Filialen gleichzeitig protestiert, an Demonstrationen in ganz Europa teilgenommen und 44 belgische Gemeidneräte - die traditionell einen Grossteil ihrer Finanzen über Dexia abwickeln - dazu gebracht, sich in Motionen gegen diese Praxis auszusprechen.
Als im April bekannt worden war, dass Dexia über die französische Investmentbank Rothschild einen Käufer für ihr israelisches Tochterunternehmen sucht, ging die Plattform erneut in die Ofensive. Da man auf der Hauptversammlung auch dann das Wort ergreifen kann, wenn man nur eine einzige Aktie im Wert von drei Euro besitzt, war es den organisierten Kleinstaktionären gelungen, die Konzernführung mit 32 kritischen Fragen zu traktieren.
Unter den Fragestellern befand sich auch die israelische Friedensaktivistin Inna Michaeli, deren Organisation "Who profits from the Occupation" vor einiger Zeit Beweise geliefert hatte, dass die Finanzierung israelischer Siedler-Kolonien durch die Dexia-Tochter erfolgt. Als der belgische Expremier Dehaene sein Versprechen gab, die Filiale zu verkaufen, selbst wenn es ein Verlustgeschäft sei, brach im Saal Jubel aus.
Quelle: Zeitung vum lëtzebuerger Vollek, 19.05.11)
Weitere Infos zu "Desinvestment"-Kampagnen finden sich hier.

(11) die Intransparenz der Banken

Wikileaks-Gründer Julian Assange geniesst nach eigenen Angaben die Furcht zahlreicher Banken vor der Bloßstellung ihrer Geschäftspraktiken im Internet: "Ich denke, es ist grossartig. wir haben all diese Banken, die sich drehen und winden, die denken, dass es um sie gehen könnte", sagte er am 29. Januar 2011 gegenüber dem US-Fernsehsender CBS. Wikileaks plant die Veröffentlichung interner Dokumente einer oder mehrerer Banken.
Mit der Intransparenz wäre es dann vorbei. In gewisser Weise würde das den Vorstellungen von etika entsprechen, aber nur im Prinzip. Uns geht es vor allem darum, dass Transparenz über das Investitionsverhalten von Banken wünschenswert wäre.
Anfang Dezember 2010 hatte Julian Assange in einem Interview mit dem US-Magazin "Forbes" angekündigt, Material aus einer US-Grossbank zu veröffentlichen, das "ungeheuerliche Übertretungen" und "unethische Praktiken" offenlege. Er versprach Einsichten ins Innenleben der Finanzwelt. Die Enthüllungen werden seiner Ansicht nach so bahnbrechend sein, dass sie Reformen nach sich ziehen dürften. Diese Kriegserklärung, "die Machenschaften der Wall Street aufzudecken", hatte zur Folge dass die grossen Finanzkonzerne die lebensnotwendigen Spendenströme an Wikileaks blockierten, berichtete das Wort (24.12.10). Nach den Kreditkartenanbietern Visa und Mastercard sowie dem Online-Zahlungsabwickler Paypal leitet auch die Bank of America kein Geld mehr an Wikileaks weiter.
Die Bank of America dürfte, so wird spekuliert, dies bislang ungenannte Grossbank sein, auf die es die Enthüllungsplattform abgesehen hat. Assange hatte vor einem Jahr in einem Interview gesagt, Wikileaks sei im Besitz der Festplatte eines hochrangigen Managers der Bank.

(10) Alternativlosigkeit

Das Unwort des Jahres 2011 lautet "alternativlos". Mitte Januar 2011 haben deutsche Sprachforscher wieder ein „Unwort des Jahres“ gekürt: „alternativlos“. Die Milliardenhilfen für Griechenland, das Bahnprojekt Stuttgart 21, die Gesundheitsreform: sie alle sind von Politikern mit diesem Adjektiv begründet worden. Die Fachjury um den Frankfurter Sprachwissenschaftler Horst Dieter Schlosser befand: „Behauptungen dieser Art sind 2010 zu oft aufgestellt worden, sie drohen, die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung zu verstärken“. Mit dem Wort werde unterstellt, es gebe bei einer Entscheidung keine andere Möglichkeit und eine Diskussion sei daher nicht notwendig. Mit 140 Nennungen war „alternativlos“ der Renner unter den 1123 Einsendungen mit Vorschlägen, welche die Forscher erhalten haben. An zweiter Stelle landete „unumkehrbar“ – meist im Zusammenhang mit Stuttgart 21. Es folgte das Wort des Jahres „Wutbürger“.

In der satirischen Online-Enzyklopädie „Uncyclopedia“ wird die „Alternativlosigkeit“ übrigens als psychotische Störung definiert, die eintritt, „wenn ein Entscheidungsträger sich aufgrund vorhergehender Beratungsresistenz, Selbstüberschätzung oder selektiver Wahrnehmung in eine Situation manövriert hat, die subjektiv nur eine mögliche Handlungsoption zulässt“. In der Berliner tageszeitung (taz vom 19.01.2011) heisst es dazu in einer Kolumne: „Die Krankheit ‚Alternativlosigkeit’ ist überproportional unter Politikern verbreitet, die im Verlauf ihrer Beamtenkarriere ihre geistige Beweglichkeit verloren haben. Die Krankheit ist relativ leicht zu diagnostizieren: Man zähle bei politischen Reden, wie oft der Patient die Worte ‚unabwendbar’, ‚unausweichlich’, ‚unumgänglich’ und ‚unvermeidlich’ verwendet.“

In der „Kleinen Wortkunde“ der taz heisst es weiter zur Therapie: „Der erste Schritt besteht darin, zu einem Treffen der ‚Anonymen Alternativlosen’ zu gehen und sich mit dem Satz: ‚Ich leide unter Alternativlosigkeit’ zu seiner Krankheit zu bekennen. Danach können die Ursachen in der Kindheit, traumatischen Erfahrungen oder sexuellen Minderwertigkeitskomplexen analysiert werden.“

Dazu passen die Erkenntnisse des Literaturwissenschaftlers Joseph Vogl. In seinem Buch „Das Gespenst des Kapitals“ (Diaphanes Verlag)beschreibt er, wie die ökonomischen Theorien die Wirtschaft mit denselben Instrumentarien analysieren, mit denen sie diese selber entworfen haben. Diese Zirkularität habe offenbar dazu geführt, dass die Marktgesellschaft heute im allgemeinen Bewusstsein als etwas Organisches gilt, das der Natur des Menschen und seiner Gesellschaften entspricht. Eben dies stellt er in Frage. Er beschreibt das Irreale vieler abstrakter Gedanken der neuzeitlichen Ökonomie, insbesondere den von der „Naturgesetzlichkeit“ von Theorien wie der von der „unsichtbaren Hand des Marktes“, die Märkte immer wieder in ein Gleichgewicht führe (so Adam Smith). Es ging in diesem Glauben so weit, dass Milton Friedman fordern konnte, die Absicherung gegen die Risiken des Marktes den Märkten selbst zu überlassen.

In einem Interview mit dem Fernsehsender 3sat nannte Joseph Vogl auch die „Alternativlosigkeit“ der Banken- und Staatenrettungen dieser Tage und betonte, dass es natürlich eine Alternative gibt: Banken, die der Staat mit seinen Geldern gerettet habe, müsse man nicht zwingend reprivatisieren. Man könne sie auch unter staatlichem Einfluss lassen.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung attestiert ihm übrigens, dem Beben der Bankenwelt eine Systemanalyse hinterher geschickt zu haben, "die an Tiefgang und Genauigkeit ihresgleichen sucht". Er führe einen Angriff auf die finanzpolitischen Systemideen, auf die Ausgleichs- und Ordnungsfiguren ökonomischer Theorie: "Sein Buch ist ein Offenbarungseid. Erst jetzt begreifen wir Krisengebeutelten, wie uns geschah" (FAZ, 31.12.10).

(9) Die Schuldenlast des Kongo

Frankreich hat beschlossen, dem Kongo die gesamte Schuldenlast in Höhe von 424 Milliarden CFA-Francs (mehr als 646.000.000 Euro) zu erlassen. Die Mitte Juli 2010 in Brazzaville geschlossene Vereinbarung beider Staaten werde „Schulden annullieren, um Infrastrukturprojekte im Hinblick auf Wasser, sanitäre Einrichtungen und Verkehr, Bildung und berufliche Ausbildung, Schutz der Umwelt und Gesundheit zu finanzieren", sagte Frankreichs Botschafter in Brazzaville, Jean-François Valette. Seit 2004 habe Frankreich fast 2, 5 Milliarden Euro Schulden des armen und von Bürgerkriegen zerrütteten Landes storniert. Das sei fast zwei Drittel des Betrages, den der Kongo den Ländern des so genannten „Pariser Clubs“ geschuldet hat. Der Kongo war bis vor kurzem eines der pro Kopf am höchsten verschuldeten Länder der Welt.

Der Pariser Club ist ein internationales Gremium von 19 Industriestaaten, in dem staatliche Forderungen gegen zahlungsunfähige Staaten behandelt werden und insbesondere über Fragen der Umschuldung und des Schuldenerlasses entschieden wird. Der Club vermittelt zwischen Geberländern und den Ländern, die Probleme mit der Rückzahlung von öffentlichen Krediten oder Entwicklungshilfedarlehen haben oder die aufgrund von Zahlungsverzügen bei Projekten mit Exportkreditversicherungen zu Schuldnern des jeweiligen Staates wurden.

Die Vereinbarung folgt der im März 2010 eingegangenen Verpflichtung der Mitglieder des Pariser Clubs, "die meisten der kongolesischen Schulden" nach Erreichen des Completion Points (PPTE) der Initiative für hochverschuldete arme Länder (HIPC) zu erlassen. Nach Italien, den Vereinigten Staaten und Frankreich, hat auch Belgien als viertes Land Mitte Dezember 2010 dem Kongo Schulden in Höhe von über 2,4 Milliarden FCFA (3,7 Millionen Euro) erlassen.

Auch Liberia hat im Rahmen der HIPC Initiative in 2010 Schulden erlassen bekommen. Ein halbes Jahr nach dem schweren Erdbeben in Haiti hat der IWF im Juuli 2010 auch dem Karibikstaat alle Schulden erlassen. Es geht um 268 Millionen Dollar (209 Millionen Euro). Der IWF beschloss zudem ein Programm für den Wiederaufbau.

Hintergrund:

HIPC steht für "heavily indebted poor countries" (hoch verschuldete arme Länder). Die HIPC-Initiative ist eine auf Anregung der G7 von Weltbank und IWF 1996 beschlossene Entschuldungsinitiative für hoch verschuldete arme Länder. Auf dem G7-Gipfel in Köln 1999 wurde eine Erweiterung der Schulden­initiative (HIPC II) beschlossen. Ziel der Initiative ist, die Verschuldung der betroffenen Länder auf ein tragfähiges Niveau zu reduzieren.

Für die Teilnahme an der Initiative gelten feste Abläufe und Regeln. Voraussetzung für eine Entschuldung ist die Vorlage einer nationalen Armutsbekämpfungsstrategie (PRSP) und die Vereinbarung eines makroökonomischen Programms mit dem IWF. Kernelement der Initiative ist die Verknüpfung mit Armutsbekämpfung mit dem Ziel, zusätzlichen Spielraum für armutsrelevante Ausgaben und Investitionen zu schaffen. Die Länder, die von einer Entschuldung profitieren, sollen die frei werdenden Mittel bei der Umsetzung von wirtschaftlichen und sozialen Reformen einsetzen.

Kritik:

Die Befürworter der HIPC-Initiative erwarten, dass sich die betroffenen Länder nun nicht mehr vor allem auf die Tilgung von Schulden, sondern auf entwicklungspolitische Maßnahmen wie Infrastruktur-, Sozial- und Bildungsaufgaben konzentrieren können.

Von Kritikern der Initiative wird dagegen argumentiert, dass sich die betroffenen Länder wieder neues Geld leihen würden, insbesondere ermutigt durch den Schuldenerlass und aufgrund fiskalpolitischer Notwendigkeiten. Somit würde das Verschuldungsproblem in ähnlicher Form in einigen Jahren wieder auftreten.

Ebenfalls wird kritisiert, dass dies eine Belohnung für jene Länder darstelle, die es nicht geschafft haben, mit Hilfe internationalen Gelder die Wirtschaft anzukurbeln, um so die Schulden zurückzuzahlen. Entsprechend würden diejenigen Länder bestraft, die ihre Kredite erfolgreich eingesetzt und zumindest einen Teil ihrer Schulden zurückbezahlt haben, da diese für die Initiative nicht qualifiziert sind.

... (8) D&G Steuerbetrug

Den beiden Designern Domenico Dolce und Stefano Gabbana, die 1985 das Modelabel D&G gründeten, wird vorgeworfen, mithilfe der Gründung des Tochterunternehmens „Gado“ (eine Briefkastenfirma mit Sitz in Luxemburg, die in Wirklichkeit von Italien aus verwaltet wird) den italienischen Fiskus um fast eine halbe Milliarde Euro betrogen zu haben. Die beiden Modeschöpfer sollen sich Medienberichten zufolge wegen Steuerbetrug in Höhe von 840 Millionen Euro vor Gericht verantworten.

Die Designer gehören zu den reichsten Italienern. Ihre Firma beschäftigt rund 3 000 Mitarbeiter/innen. Eine Mitte Oktober 2010
abgeschlossene Untersuchung der Mailänder Staatsanwältin Laura Pedio hat ergeben, dass die Firma Gado 2004 zur Kontrolle der Marken
von D&G gegründet wurde, um entsprechende Steuern in Italien zu umgehen. Bereits im Mai 2009 hat die italienische Regierung
Dolce & Gabbana für den Zeitraum 2004 – 2006 der Steuerflucht beschuldigt: Man habe Gewinne in Höhe von etwa 249 Millionen
Euro nach Luxemburg transferiert, um keine Steuern zahlen zu müssen.

In einem ersten Prozess im April 2011 wurde D&G von dem Vorwurf freigesprochen, doch wurde das Verfahren im November 2011 neu aufgerollt, nachdem der oberste italienische Gerichtshof dieses erstinstanzliche Urteil aufgehoben hatte. Mitte Dezember 2012 wurde der 30. Januar 2013 als nächster Termin in diesem neuen Verfahren genannt.

... (7) die Noa Bank


Die als ethische Alternative zu den Grossbanken angetretene Noa Bank GmbH & Co. KG ist nach weniger als einem Jahr am Ende. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat am 18. August 2010 gegenüber der Noa Bank ein Veräußerungs- und Zahlungsverbot erlassen, um das verbliebene Vermögen zu sichern. Ihr drohe die Insolvenz. Außerdem hat die BaFin angeordnet, die Bank für den Verkehr mit der Kundschaft zu schließen, und dem Institut untersagt, Zahlungen entgegenzunehmen, die nicht zur Tilgung von Schulden ihm gegenüber bestimmt sind („Moratorium“).

"Das gesamte Finanzsystem ist selbstorganisiert, um unbeweglich zu sein. Ich habe versucht, es zu ändern, aber ich bin gescheitert", erklärte Bankgründer und -miteigentümer Francosi Jozic, zitiert ihn das Tageblatt (20.08.10).

Die Einlagen der 15.000 Kunden der Noa Bank sind im Rahmen des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes bis zu einer Summe von je 50.000 Euro geschützt. Das Institut gehört der Entschädigungseinrichtung deutscher Banken GmbH (EdB) an, heisst es auf der Webseite der Bank. Dei Kunden müssen aber noch warten, bis sie ihr derzeit eingefrorenes Geld zurück bekommen.

Die im August 2009 gestartete Bank hatte mit hohen Zinsen auf Tagesgeld von bis zu 2,2 Prozent nach früheren Angaben bis zu 300 Millionen Euro an Einlagen bei den Kunden eingesammelt. Nachdem die Bafin der Noa Bank Ende Juni die Annahme weiterer Gelder verboten hatte, waren dort zuletzt noch 172 Millionen Euro angelegt.

Das Geld sollte in Form von Krediten in ethische und ökologische Projekte gesteckt werden. Tatsächlich konnte die Bank aber nur einen Bruchteil davon als Kredit ausreichen, der Rest musste am Markt angelegt werden. Die Kapitaldecke erwies sich letztlich als zu dünn, so das Tageblatt (20.08.10). Gegen die Gründer und Eigentümer der Bank ist eine Strafanzeige wegen Untreue eingegangen, bestätigte die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft.


... (6) Vertrauen in Banken


Die US-Börsenaufsicht SEC hat die mächtigste US-Bank Goldman Sachs wegen Wertpapierbetrugs verklagt. SEC wirft ihr Betrug bei einem komplexen Finanzprodukt vor, bei dem Groß-Investoren eine Milliarde Dollar verloren haben sollen. Goldman habe Anlegern "wesentliche Informationen" bei der Vermarktung eines verbrieften Hypothekenkredits (CDO) vorenthalten, erklärte die SEC am 17. April 2010. Insbesondere wird der Bank vorgeworfen, auf fallende Häuserpreise spekuliert zu haben, während Kunden mit den vom Häusermarkt abhängenden Finanzprodukten der Bank hohe Verluste machten. Daher werde die Bank nun verklagt. CDOs (die zweitklassigen, so genannten Subprime-Hypotheken) haben die weltweite Finanzkrise mit ausgelöst.

Analysten zufolge kann auf Goldman nun eine Strafe in Milliardenhöhe zukommen. Die Klage der SEC gegen die führende und einflussreichste Bank der Wall Street ist der erste Vorstoss der Behörde gegen Methoden bei der Vermarktung derartiger Produkte.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. April 2010. Siehe hierzu auch einen Artikel der Nachrichtenagentur Reuters.


... (5) das bisherige Wirtschaftssystem


"Wir müssen jetzt den Paradigmenwechsel hin zu einer Wirtschaftsweise einleiten, die unser Planet verkraftet und die letztlich auch mehr Sinn stiftet. Der Befund ist doch eindeutig: Die Rohstoffe werden knapper, die energie wird knapper, die Umweltschäden werden grösser. Für mich gibt e keinen Zweifel: Die Nation, die sich am schnellsten, am intelligentesten auf diese Situation einstellt, wird Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen."

Horst Köhler, dtsch. Bundespräsident im focus 12/2010

... (4) die Europaniederlassung der amerikanischen Internetgruppe AOL in Luxemburg


Seit Januar werden hier keine Mitarbeiter mehr beschäftigt. AOL Europe hatte sich im Jahr 2003 hauptsächlich deshalb in Luxemburg angesiedelt, um vom niedrigen Mehrwertsteuersatz (15 % im Vergleich zu 18 bzw. 19 % in Frankreich oder Deutschland) und einer Gesetzgebung zu profitieren, die es dem Giganten des elektronishen Handels erlaubte, in Europa erbrachte Leistungen zu diesem Satz in Rechnung zu stellen. Von Luxemburg aus hatte AOL bis 2008 das Internetzugangsgeschäft für mehr als 5,8 Millionen Kunden in Frankreich, Deutschland und Großbritannien gelenkt.

Zwar hatte AOL Europe Services bereits 2008 seine von hier aus gesteuerten Aktivitäten größtenteils veräußert. Im Dezember 2009 wurde nun aber auch noch wie erwartet das Zugangsgeschäft von Compuserve verkauft, womit außer einer Hülle nichts mehr bleibt. Jetzt wird die Holding endgültig abgewickelt, wie ein Sprecher bestätigte.

Hauptgrund dafür, dass Luxemburg überhaupt auf die Landkarte von AOL und anderen amerikanischen US-Konzerne kam, war die Mehrwertsteuerrichtlinie der EU-Kommission, die Luxemburg 2003 in nationales Recht umsetzte. Die Direktive sah vor, dass Anbieter von elektronischen Dienstleistungen aus Drittstaaten, die bisher nicht der indirekten Besteuerung innerhalb der Union unterlagen, aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit gegenüber EU-Unternehmen auch zur Zahlung einer Mehrwertsteuer herangezogen werden.

Luxemburg hatte als EU-Mitglied mit dem geringsten Mehrwertsteuersatz die Chance gesehen, ein neues Geschäftsfeld zu etablieren. In dieser Hinsicht hat AOL und insbesondere Richard Minor, der AOL Europe Services aufgebaut hat, Pionierarbeit geleistet, betont das Luxemburger Wort. Er sei maßgeblich daran beteiligt gewesen, dass sich auch andere multinationale Gesellschaften wie Amazon, Ebay oder PayPal hierzulande niedergelassen haben.

Die günstigen steuerlichen Rahmenbedingungen werden jedoch nicht mehr lange bestehen. Ab 2015 sollen auch elektronische Dienstleistungen dort besteuert werden, wo die Leistung erbracht wird. "Dann muss sich der Standort Luxemburg vor allem durch bessere Kommunikationsinfrastrukturen sowie einen optimierten Anschluss an die internationalen Datenautobahnen behaupten", so das Wort.

... (3) das Bankgeheimnis


Es sei "am Ende", sagte jedenfalls der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble Anfang Februar 2010. Es könne im 21. Jahrhundert kein Instrument mehr sein, "das von Staats wegen die Steuerhinterziehung ermöglicht". Insgesamt sollen bis zu 100.000 Deutsche rund 23 Milliarden Euro auf Schweizer Konten versteckt haben.

Zahlen zu Luxemburg wurden nicht genannt. Das Tageblatt meldete jedoch am 8. Februar, auf der von der deutschen Regierung aufgekauften CD könnten bis zu 1000 luxemburger Konten genannt sein.

... (2) ein Land, das froh war, nach OECD-Kriterien nicht mehr als "Steuerparadies" zu gelten


Dann kam Italiens Amnestie für Steuersünder, die Ende Dezember 2009 Ungeheuerliches zu Tage brachte. Binnen drei Monaten wurden 85,1 Milliarden Euro versteckte Vermögen gemeldet. Die Regierung durfte sich freuen: Sie kann sich brüsten, fiskalpolitisch durchzugreifen - außerdem fließen fünf Milliarden Euro in die klamme Staatskasse. Nach Angaben des italienischen Finanzministeriums wurden rund 98 Prozent dieser Gelder nach Italien zurücküberwiesen (Tageblatt, 30.12.2009). Die Regierung kann sich gleich doppelt freuen: Sie hatte die Amnestie auch deshalb so gönnerhaft gestaltet, damit sie Geld für ihre klammen Kassen erhält. Der Preis für die Legalisierung des Schwarzgeldes belief sich auf eine einmalige Strafsteuer von fünf Prozent. Damit erhält der Finanzminister durch die Aktion rund fünf Milliarden Euro.

Mitte Februar 2010 teilte die Banca d’Italia mit, dass 10 % der zurückgeflossenen Gelder in Luxemburg deponiert waren (eine frühere Schätzung war noch von 30 % ausgegangen), was 7,3 Mrd Euro entspricht. Das meiste Geld war demzufolge in der Schweiz deponiert: 59,9 Mrd Euro. Es folgen Luxemburg sowie Monaco (4,1 Mrd Euro), San Marino (3,8 Mrd Euro) und Österreich (1,2 Mrd Euro).

Gut also, dass Luxemburg kein Steuerparadies ist, sonst wäre der Anteil sicherlich noch höher gewesen ...

Kalte Füsse haben nicht nur italienische und deutsche Steuersünder bekommen. Auch die Belgier und Niederländer holen aus Angst vor Strafverfolgung ihr Geld aus Luxemburg und anderen Ländern zurück. Allein im Jahr 2009 beliefen sich die Kapitalrückflüsse belgischer Kunden aus Luxemburg auf 224 Millionen Euro. Seit dem 1. Januar 2010 wird belgisches Kapital, das im Ausland platziert ist, nicht mehr an der Quelle versteuert. Es gebe nun einen verstärkten Austausch der Behörden, schreibt das Tageblatt (14.01.10).

… (1) eine junge Wissenschaftlerin,


die als Angestellte einer luxemburgischen Forschungseinrichtung eine Recherche zum Wachstumspotenzial der hiesigen Biotechnologie machen sollte. Sie schrieb alle (nicht wenige) hiesigen Firmen der Branche an und … erhielt praktisch keine Antworten. Sie stellte fest, dass die meisten – auch große Namen der Branche – hier lediglich Briefkastenfirmen unterhalten. Warum? Weil diese Firmen hier lediglich ihre Patente anmelden oder den offiziellen Sitz ihrer Finanzabteilung haben, um entsprechende steuerrechtliche Vorteile zu genießen. Das ist - natürlich - legal, aber nicht unbedingt legitim.