Alles ESG - oder was?

, von Ekkehart Schmidt

Bei einer Begegnung im November 2022 sagte Denise Voss, ehemalige Direktorin des Investmentsfondsverbands Alfi und seit 2019 Chairwoman von LuxFLAG, die wir seit der Präsentation unseres „Guide des placements éthiques“ 2009 kennen: „Yes, isn’t it amazing how the sector developed? And you have been the pioneers!“

Ja, danke für das Lob, das uns freut. Dennoch: All die Finanzprodukte – vor allem Investmentfonds und Anleihen –, die plötzlich in Luxemburg als „Sustainable Finance“ oder „Green Finance“ beworben werden, erscheinen uns doch weit weg von der Philosophie unseres 1996/97 entwickelten alternativen Sparkontos zu sein. Es erscheint nötig, der Frage auf den Grund zu gehen, was da in den letzten Jahren passiert ist. Und warum.

Dabei ist es aber wichtig, gleich zu Beginn einen entscheidenden Unterschied zwischen einem „Investieren in Nachhaltigkeit“ sozialer und ökologischer Banken einerseits sowie "Nachhaltigem Investieren" konventioneller Finanzinstitutionen andererseits festzuhalten.

  • Während Erstere ausschließlich in soziale und ökologische Projekte und Unternehmen investieren, dies gewissermaßen ihr Wesenskern und Gründungszweck ist,
  • haben Letztere als Folge von Regulierungen die berühmten „ESG-Kriterien“ zu berücksichtigen, wenn sie ihre Produkte als „nachhaltig“ kennzeichnen wollen. Für sie bedeutet das, Geld in Unternehmen oder Finanzprodukte zu investieren, die neben traditionellen Finanzindikatoren (Risiko und Renditeaussichten usw.) auch ökologische und soziale Kriterien sowie Aspekte der guten Unternehmensführung (ESG) erfüllen. Die Betonung liegt auf „auch“, das heißt, es wird zugleich in fossile Energien oder Aktivitäten investiert, bei denen Menschenrechtsverletzungen Teil der Produktionsmethoden sind.

Und ein zweiter Unterschied ist wichtig zur Trennung der Spreu vom Weizen: Dadurch, dass neue Regularien und die Konsumentennachfrage es erzwingen, Produkte mit Blick auf ihre Nachhaltigkeit einzuordnen, unterziehen "konventionelle" Emittenten sie einem umfangreichen „ESG-Screening“. So werden plötzlich aus vielen Produkten, bei denen Nachhaltigkeit nie eine Rolle gespielt hat, scheinbar ESG-kompatible Angebote. In der kritischen Öffentlichkeit entsteht in diesen Fällen freilich der Eindruck, dass da etwas „Neues“ das „Alte“ ersetzt, ohne dass sich wirklich etwas geändert hat. Außer vielleicht im neuen Anstrich.

Nachhaltigkeit ist im Aufwind, das Marketing der Finanzbranche läuft auf Hochtouren, doch hat das nicht nur bei Verbraucher*innen, sondern sogar bei Branchenkenner*innen zu einer starken Konfusion geführt, wann denn nun ein Produkt wirklich „grün und nachhaltig“ ist oder nur grün gefärbt wurde. Es fehlt eine unabhängige Instanz, die das verantwortlich beurteilt oder auch reguliert. Das Urteil zivilgesellschaftlicher Organisationen wie Greenpeace, Financité oder dem internationalen Journalist*innenteam des niederländischen Mediums „Follow the Money“ war zuletzt jedenfalls klar: Da ist viel Nebel und Greenwashing. Weit über die Hälfte der „nachhaltigen“ Fonds investiert weiter Geld in fossile Energien oder Fluggesellschaften.

Als Pionier nachhaltiger Geldanlage fühlt sich das etika-Team in der Verantwortung, als unabhängige Institution Verbraucher*innen in Zukunft kontinuierlich genauer zu erklären, was da eigentlich warum und wie im Gange ist.

Verschiedene neue und einige ältere Texte dieses Dossiers sollen ein Anfang sein:

Zu grün um wahr zu sein...
Regulierung im Überblick (wird noch erarbeitet)
Transformative Finanzwirtschaft
Der luxemburgische Finanzplatz (wird noch erarbeitet)
Label für die nachhaltige Geldanlage
Was ist Greenwashing? Und wie erkenne ich es?
Finanzmarktkritische NGOs: „Shifting brown finance“
Infos/ Links zur Sozialfinanz und NGOs aktiv im Finanzsektor weltweit
Glossar