Einige Affären und Skandale der letzten Jahre - von den Umständen des Enron-Konkurses über Korruptionsvorwürfe gegen führende Politiker bis zu den Cum-Ex- und VW-Abgasskandalen - werden in den Medien zuweilen dargestellt, als handele es sich nur um Kavaliersdelikte, als Resultat einer laxen Organisation oder zu großer kollektiver Toleranz. Dies jedenfalls im Vergleich zur Gewaltkriminalität gegen Menschen. Es gibt auch deutlich weniger öffentliche Erregung.
Wie kann bewertet werden, was an Abweichungen akzeptierbar und was unmoralisch ist oder auch die öffentliche Ordnung bedroht? Carla Nagels (Foto), Lehrbeauftragte an der Rechtsfakultät der Freien Universität von Brüssel, beschäftigt sich seit langem mit den oft inadäquaten Sanktionen gegenüber « White-Collar und Corporate Crime ».
Welche Sanktionen sind angemessen gegenüber einem solchen Fehlverhalten, gezielten Normüberschreitungen nach Bedarf oder auch dem Missbrauch einer privilegierten Stellung? Selbst Steuerhinterziehung im großen Stil scheint oft kaum geahndet zu werden - oder nur mit Bewährungsstrafen. Nun fragt sich Carla Nagels, wie die Wall Street von Hollywood gesehen wird.
Wie stellt das Kino solche häufig unsichtbaren Abweichungen, aber auch zielgerichtete Kriminalität im Finanzsektor dar? für Antworten auf diese Frage laden ASTM, CITIM und etika die Co-Autorin des Buches « Sociologie des élites délinquantes. De la criminalité en col blanc à la corruption politique » am 24. Oktober
- zu einem Lunch Talk ab 12.30 Uhr in das CITIM (136, rue Adolphe Fischer)
- und einem Vortrag mit anschliessender Filmvorführung ab 19 Uhr in die Cinémathèque ein:
Wall Street von Hollywood gesehen - oder wie das Kino unlautere Praktiken im Finanzsektor darstellt
Von Carla Nagels (Lehrbeauftragte an der Fakultät für Rechtswissenschaften und Kriminologie der Freien Universität Brüssel) Filmvortrag | in französischer Sprache | ca. 45’ | gefolgt von der Vorführung von "The Big Short".
"Die Börse ist der Sitz der Finanzaktivitäten, die sich rund um Investitionen und den Austausch von Wertpapieren entwickeln. Die Spekulations- und Transaktionsspiele, die sie kennzeichnen, sind im Allgemeinen legitim, doch das Finanzmilieu ist nicht frei von Fehlern und Fehlverhalten. Wie die Krise im Jahr 2008 erneut gezeigt hat, können solche Fehlentwicklungen die Weltwirtschaft so stark erschüttern, dass eine Reihe katastrophaler sozialer Folgen eintritt. Doch obwohl die unlauteren Praktiken, die zu solchen Krisen führen, die Schlagzeilen der Medien beherrschen, rufen sie letztlich nur wenige Reaktionen hervor.
Der Film-Vortrag möchte zum Verständnis dieses Themas von eher begrenztem Interesses beitragen, indem das Bild von Fehlverhalten an der Börse hinterfragt wird, das von einem Medium mit hoher populärer Durchdringung produziert wird: dem Kino.
"Das populäre Kino ist ein bevorzugter Beobachter des Zustands der Mentalitäten, und andererseits funktioniert es als Enthüller der Unausgesprochenheiten der politischen Diskurse." (Carla Nagels)
The Big Short (USA 2015): Wall Street, 2005. Vier Außenseiter nutzen die weit verbreitete Blindheit der großen Banken, der Medien und der Regierung aus, um das Platzen der Finanzblase vorauszusehen.
"The Big Short ist ein provokativer, pädagogischer und vor allem von einem wütenden Willen zur Empörung getriebener Film, der es ermöglicht, die verdammte Subprime-Krise zu verstehen und warum jeder von uns immer noch darunter leidet. Man kommt mit dem heftigen Wunsch heraus, alles in die Luft zu sprengen". (Premiere)
Artikel vom 2. Oktober 2023