Die Fakten sind bekannt und sollen dennoch wiederholt werden: Um die globale Erhitzung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, müssen die stetig steigenden C02-Emissionen in den nächsten neun bis zehn Jahren halbiert und bis 2050 komplett gestoppt werden. Notwendig ist eine starke Reduzierung des Einsatzes fossiler Brennstoffe zur Energiegewinnung. Wenn das nicht gelingt, wird sich die Erde weiter erhitzen.
Etika hat sich in seiner Sensibiliserungs- und Lobbyarbeit bislang stark auf den privaten Banksektor und nachhaltige Investmentfonds ausgerichtet. Seit 2019 konzentrieren wir uns verstärkt auf öffentliche multilaterale Banken und Finanzinstitutionen. Schon 2008 hatten wir gemeinsam mit dem OGB-L eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der wir den für den hiesigen Pensionsfonds FDC (Fonds de Compensation) zuständigen Minister aufforderten, soziale und ökologische Kriterien bei der Auswahl von Aktien für das Portfolio des FDC zu berücksichtigen.
Die Forderung blieb wirkungslos, aber im Jahrzehnt danach entwickelte sich eine öffentliche Debatte über die Verantwortung des Staates als Investor. Im Kontext unserer Mitwirkung bei der Plattform «Votum Klima» wurde die Forderung, das Kapital generell nach ethischen Kriterien ausgerichtet zu investieren, in einer Vielzahl an Aktionen stärker auf die spezielle Forderung fokussiert, Investitionen in Projekte fossiler Energien abzuziehen («Divest»). Seit einem Jahr bemüht sich v.a. «Greenpeace Luxemburg» mit intensiven Recherchen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen, den FDC endlich zu substantiellen Änderungen zu bewegen. Bislang wurde nur erreicht, dass der Fonds ab Herbst 2020 über die Klimarisiken seiner Investments berichten will (mehr dazu hier).
Allein in 2019 hat der FDC über 256 Millionen Euro in einige der weltweit grössten Extraktions-Firmen fossiler Energien investiert (u.a. ExxonMobil, Shell, BHP Billiton und Gazprom) - das ist eine Steigerung von über 60 % im Vergleich zum Jahr 2015, als das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet wurde.
Aber natürlich betrifft das Thema auch private und öffentliche Banken: Eine im Auftrag des französischen Rousseau-Instituts, das mit den Umwelt-NGOs Reclaim Finance und Amis de la Terre assoziiert ist, hat in im Juni 2021 in einer Studie "Fossil assets, the new subprimes?" berechnet, dass die 11 größten Bankinstitute in der Eurozone mehr als 530 Mrd. Aktien aus fossilen Brennstoffen halten, was 95% ihres Eigenkapitals entspricht.
Vor einem Jahr beteiligten wir uns an Demonstrationen und Aktionen zivilen Ungehorsams, um die in Luxemburg ansässige Europäische Investitionsbank (EIB) und die hier tagende Asiatische Infrastruktur Investment Bank (AIIB) zu einem sofortigen Divestment aufzufordern (Fotos, siehe auch etikaINFO 60). Die erstgenannte Aktion wurde von «350.org» geplant und umgesetzt, die zweite organisierten und verantworteten wir selbst in Zusammenarbeit mit jungen luxemburgischen Klimaaktivisten.
Die 2008 in den USA gegründete Organisation 350.org ist eine von vielen meist internationalen NGOs, die europa- oder weltweit eine Bewegung von unten aufbaut, um die Klimakrise zu lösen. Diejenigen Akteure, mit denen etika vor einem Jahr in Kontakt trat – und damit über den hiesigen Tellerrand hinaus zu blicken begann – wollen wir Ihnen hier vorstellen.
Zu den ältesten Akteuren zählt der deutsche Verein «Urgewald», der sich seit 1992 für Umweltschutz und Menschenrechte einsetzt und insbesondere die deutsche Wirtschafts- und Entwicklungspolitik kritisch begleitet.
So werden unter anderem die sozialen, ökologischen und ökonomischen Folgen von Exportkrediten wie z. B. Hermes-Bürgschaften, für Energieerzeugungs- bzw. Staudamm-Projekte oder für Atomkraft-Projekte dokumentiert.
In der Studie „Bittere Kohle“ in Zusammenarbeit mit „Keepers of the Mountains“ und der Menschenrechtsorganisation FIAN kritisiert Urgewald die Verlagerung der Ewigkeitskosten im Steinkohlebergbau nach Kolumbien, Südafrika, USA und Russland, insbesondere durch das Wegsprengen von Bergspitzen durch Mountaintop removal mining. Gefordert werden Transparenz bei Steinkohleimporten für die Stromproduktion sowie verbindliche und überprüfbare Sozial- und Umweltstandards.
Eines der wirksamsten Mittel im Kampf gegen die Kohleindustrie ist, ihr den Geldhahn zuzudrehen. Vielen Investoren fehlt es aber am Wissen, manchmal auch am Willen, der Kohle konsequent die finanzielle Grundlage zu entziehen. Daher hat urgewald mit anderen Partnern die Global Coal Exit List (GCEL) als konkretes Werkzeug erarbeitet.
Die GCEL beantwortet die Frage "Wer steckt hinter der Kohle" bis ins Detail und macht die globale Kohleindustrie entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette sichtbar. 2021 umfasste sie rund 935 Unternehmen. Im Herbst 2021 soll auch eine Datenbank zur Öl- und Gasindustrie, die "Global Oil and Gas Exit List" (GOGEL) an den Start gehen.
In der Bewegung des Divestments aus fossilen Energie-Unternehmen wurden unter Mithilfe von Urgewald Erfolge erzielt: So erklärten der Allianz-Konzern sowie der Staatliche Pensionsfonds Norwegens einen deutlichen Abbau von Investitionen in die Kohleindustrie. Um Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, organisiert Urgewald regelmäßig Kampagnen.
Diese beziehen sich zumeist auf die genannten kritischen Sektoren. Im Fokus steht dabei die tragende Rolle von Finanziers, wie Banken, Versicherer und Investoren, mit deren Geld Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen finanziert werden. In diesem Zuge geraten auch (multilaterale) Entwicklungsbanken sowie deren Entwicklungsprojekte in die Kritik. Hier engagiert sich Urgewald auch bei "Counter Balance", einer Koalition von neun NGOs, deren Ziel es ist, aus europäischen öffentlichen Finanzorganisationen (insbesondere der EIB) Treiber einer Wende zu einem nachhaltigeren Europa zu machen. Zuletzt publizierte der Zusammenschluss einen Bericht zur "grünen Wende" der EIB: "The ’EU Climate Bank’ – Greenwashing or a banking revolution".
Auch andere zivilgesellschaftliche Akteure engagieren sich als so genannte "Impact Investoren", indem sie Aktien von Unternehmen kaufen, die im Bereich fossiler Energien aktiv sind, und dann auf Hauptversammlungen Druck ausüben (Beispiel: Öl-Industrie).
Auch die in den Niederlanden ansässige NGO «Recourse» (ehemals BIC Europe) ist eine NGO, die unter anderem internationale kritische Kampagnen zur Investitionspolitik von Banken organisiert. Die britische NGO «Banktrack» geht in ähnlicher Weise ethisch fragwürdigen Investments von Banken auf den Grund und führt Kampagnen durch. Die in Belgien arbeitende NGO «Change Finance» versucht ebenfalls, internationale Banken für einen Wandel der Anlagepolitik zu bewegen. Die NGO «Facing Finance» fordert dagegen allgemeiner Investoren, Finanzdienstleister und Bank- und Versicherungskunden auf, nicht in Unternehmen zu investieren, welche Menschenrechte und Umweltschutz missachten oder von Korruption und der Herstellung völkerrechtswidriger Waffen profitieren.
Das «Bretton Woods Project» sammelt kritische Stimmen zur Politik der multilateralen Institutionen Weltbank und IWF, führt aber kaum öffentlichkeitswirksame Kampagnen durch, sondern versucht auf anderem Wege Einfluss zu nehmen - u.a. durch Teilnahme an öffentlichen Sitzungen. Große Aufmerksamkeit erregen dagegen konzertierte Aktionen, wie zum Beispiel die Kampagne «Big Shift Global», organisiert von einem Zusammenschluss von 40 Organisationen aus dem globalen Norden wie dem Süden. Zu ihren Hauptaktivitäten zählt, multilaterale Entwicklungsbanken (MDB) durch öffentlichen Druck zu einem Ausstieg aus Investments in fossile Energien zu bewegen.
Während des Corona-Lockdowns besuchten wir viele Videokonferenzen dieser Organisationen. Am 28. Mai nahm etika beispielsweise am „Big Shift webinar on the Multilateral Development Banks and a just, Paris-aligned recovery“ teil, bei dem Aktivisten aus der ganzen Welt über ihre Versuche der Einflussnahme auf die noch immer zu stark in die Nutzung fossiler Energien involvierten Investitionspolitik der global tätigen öffentlichen Banken berichteten.
Wer sich für die aktuelle Arbeit dieser und anderer Institutionen interessiert, die regional oder weltweit Aktionen koordiniert und für einen Informationsaustausch zwischen NGOs und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen über den europäischen Blick auf internationale Finanzinstitutionen sorgt, dem sei die euroIFI-I-mailing list empfohlen. Sie wird vom «CEE Bankwatch Network» betreut, einer europäischen NGO von 16 Mitgliedern aus 14 Ländern mit Sitz in Prag, die Bankenaktivitäten im Umweltbereich überwacht.
So interessant diese Aktivitäten auch sind: Wir entschieden nach dem Lockdown, uns in unserem Engagement – auch was den für uns eher neuen militanten Aktivismus angeht - auf den hiesigen Finanzplatz zu konzentrieren. So beispielsweise wenn es um Protestaktionen gegen den FDC oder SOCFIN-Aktionärsversammlungen geht. Und unsere Energie eher in die Sensibilisierung von Verbraucher*innen für empfehlenswerte Finanzprodukte einsetzen.
Ein Vorbild könnte uns dabei die deutsche Bürgerbewegung «Finanzwende» sein, die Veränderung durch Sensibilisierung und Beeinflussung der Nachfrage gestalten möchte. Dieses Ziel verfolgen auch die «Fair Finance Guides» - Publikationen, die meist von öffentlichen Einrichtungen wie Verbraucherzentralen erarbeitet werden. Es gibt sie auf internationaler Ebene, aber auch spezifisch für Frankreich und Deutschland. Der Fair Finance Guide France untersucht ausgewählte französisch Banken auf Ihre Nachhaltigkeit, während der Fair Finance Guide Deutschland dies für den deutschen Markt tut. Der unter anderem von „Oxfam“ initiierte Fair „Finance Guide International“ bewertet Aktivitäten von Banken in neun Ländern.
Artikel vom 25. August 2020, aktualisiert am 8. Dezember 2021